Polen

Geschichtsstunde beim Hip-Hop-Musiker

Der aufstrebende Hip-Hop-Künstler LUC alias Lukasz Rostowski hat im Jahr der Jahrestage einen neuen Zugang zur Geschichte entdeckt. „1939 – 1989“ heißt sein neues Album, das er nach zwei für Polen und Europa besonders wichtigen Jahreszahlen benannt hat. Darauf rappt der 29-Jährige keine einzige Strophe selbst, sondern verwendet historische O-Töne, etwa vom ehemaligen Staatspräsidenten Lech Walesa. Im Interview erklärt er, wieso es ihm bei der Erinnerung nicht um die Aufrechnung von Schuld geht.

Auf seinem neuen Album zeichnet Lukasz Rostowski mit Hip-Hop-Beats, Originaltönen und Orchesterklängen wichtige Punkte in der polnischen Geschichte nach.

Lukasz, Ihr neues Album hat den Untertitel „Um Polen zu verstehen“. Was muss da verstanden werden?

Lukasz Rostowski: Man muss die Tatsachen kennen, die dafür verantwortlich sind, dass es sich in dem Land – insgesamt betrachtet – recht schlecht lebt. Vor allem, wenn sich Europa öffnet und wir nebenan sehen können, wie Polen heute sein könnte. Ich möchte den jungen Leuten zeigen, dass das Geheimnis des heutigen Polens, durch Plattenbauten, Klötze aus der Volksrepublik und hässliche Kioske verunstaltet, eigentlich ein Resultat der vergangenen 50 Jahre ist.

Ihr Album haben Sie nach diesem halben Jahrhundert benannt, nämlich „1939 – 1989“.

Lukasz Rostowski: Ich habe nach einem passenden Begriff für die Geschichte Polens in diesen 50 Jahren gesucht und, ehrlich gesagt, nichts gefunden. Das, was hier geschehen ist, war eine unvorstellbare Tragödie und gleichzeitig eine ungewöhnlich heroische Geschichte. Ich nenne die Zeit das höllische halbe Jahrhundert. Ich meine, die Jahre waren eine Zeit, in der Gott geschlafen hat. Jegliche Gerechtigkeit und menschliche Güte waren entschwunden.

Das ist ein recht negatives Bild der polnischen Vergangenheit im 20. Jahrhundert. Wie hat das Ihre musikalische Herangehensweise beeinflusst?

Lukasz Rostowski: Mein Verständnis der polnischen Vergangenheit ist zwar negativ, ich empfinde eine Art Mitleid und Trauer für die Geschichte meines Landes. Allerdings möchte ich mit meiner Musik eher einen Mythos zeigen, eine Legende, die ungewöhnlich stark ist und das alles durchgestanden hat. Die polnische Geschichte beinhaltet, dass wir die armen Hunde sind. Wie der verprügelte Junge auf dem Schulhof beschweren wir uns nur. Ich aber will den Fokus auf die positiven Elemente setzen. Dazu zählt der permanente Glaube an bestimmte Ideale, an Demokratie, Menschenwürde und Freiheit. Gerade diese Ideale sind uns Polen außerordentlich, genau wie ihr Sieg 1989.

Wenn ein Hip-Hop-Künstler im Jahr der Jahrestage eine Platte herausbringt, die allein historische Ereignisse behandelt, ist dann für Polen die eigene Geschichte schon Mainstream?

Lukasz Rostowski: In der letzten Zeit gibt es tatsächlich solch einen Geschichtstrend. Ich selber lache zwar darüber, aber kann mich ja selbst als einen Surfer auf dieser Welle sehen. Doch ich brauchte diese Welle gar nicht, ich hätte die Platte auch ohne sie gemacht. Aber dennoch freue ich mich über diese Welle. Polen sollte neben Wodka und schönen Frauen auch andere Exportschlager haben – und das ist die Geschichte.

Die aktuelle Platte ist Ihr siebtes Album. Diesmal verzichten Sie aber völlig auf Sprechgesang, verwenden nur historische O-Töne. Man hört etwa das amtliche Kommuniqué zum Kriegsbeginn 1939, Ausschnitte von Staatsreden aus der Volksrepublik sowie Mitschnitte von der Papstwahl. Hört sich mehr nach Archivarbeit an als nach Reimen ...

Lukasz Rostowski: Ja, so war es auch. Aber am Anfang stand die Musik, ich habe sie ursprünglich als Begleitung zu Filmszenen gemacht. Anfangs war das Album ein Multimediaprojekt. Der historische Film sollte allgemein verständlich sein – für Franzosen ebenso wie für Kubaner. Die Idee ist erst einmal untergegangen, aber ich hörte irgendwann alte Radioansprachen, etwa aus der Kriegszeit. Dahinter war ein unglaublicher Zauber, eine Energie, ein Ethos. Also habe ich versucht, mit den O-Tönen die Musik zu untermalen, so dass sie auch ohne Film und Gesang bildhaft wurden.

So entstand der quasi rappende Walesa, der auch das Album beschließt?

Lukasz Rostowski: Ja, zu mehr oder weniger Hip-Hop-Beats, ich würde sie Filmmusik nennen. Sie hat Hip-Hop-Elemente aber auch Fragmente klassischer Orchester-Klänge.

Die Person Walesa spaltet zwei der Sponsoren Ihres Projekts, das Institut für Nationales Gedenken (IPN) und das Europäische Zentrum der Solidarität (ECS). Sie haben sich über Walesas mutmaßliche Spitzeltätigkeit zerstritten.

Lukasz Rostowski: Richtig, die beiden Institute sind zerstritten im Bezug auf die Person Walesa, aber bei diesem Projekt haben sie zusammengearbeitet. Das war für mich sehr wichtig, dieses Musikprojekt sollte verbinden und nicht trennen. Und das ist hier symbolisch geschehen.

Aber halten die Lieder nicht gerade das Trennende wach, etwa in Bezug auf das deutsch-polnische Verhältnis?

Lukasz Rostowski: Ich versuche eine neue Atmosphäre mit der Musik zu schaffen. Erinnerung ist nicht zum Abrechnen da. Wir Polen sollten nicht böse auf die Deutschen sein und übrigens auch nicht auf die Russen. Selbst wenn wir einen Grund dazu hätten, da unser Staat in der Vergangenheit sehr empfindlich verletzt wurde.

Wenn man sich als Musiker so intensiv mit der Geschichte des eigenen Landes beschäftigt, ist man dann Patriot?

Lukasz Rostowski: Klar, bin ich Patriot. Ich bin zwar sehr kritisch gegenüber der Gesellschaft, aber gleichzeitig liebe ich die Ideale, mit denen ich hier groß geworden bin. Ich würde mich aber als einen europäischen Patrioten bezeichnen, denn es gibt keine schönere Idee als eine Union und die Verbindung von Nationen.

Lukasz Rostowski, geboren 1981, stammt aus Zielona Gora (Grünberg) und ist Jura-Absolvent an der Breslauer Universität. Sein Debütalbum legte er 2003 vor, seitdem hat er mit zahlreichen ambitionierten polnischen Musikern zusammengearbeitet. Während seiner Laufbahn wurde er mehrfach für nationale Musikpreise nominiert, drei Mal für den als wichtigsten geltenden „Frederyk“.
Internet: http://www.eluce.pl

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