Ukraine

In der Zwickmühle

Beim ukrainischen Energieversorger Naftogas war man überrascht, als Anfang Januar eine Rechnung aus Moskau eintraf. Sieben Milliarden Dollar verlangte der russische Gazprom-Konzern für Erdgas, das die Ukraine gar nicht bestellt hatte. Gazprom pocht auf einen Liefervertrag von 2009, wonach sich die Ukraine verpflichtet habe, pro Jahr mindestens 42 Milliarden Kubikmeter Gas zu kaufen. Importiert sie weniger - wie im vergangenen Jahr - werde dennoch der volle Preis fällig. 416 Dollar muss die ehemalige Sowjetrepublik pro 1.000 Kubikmeter Gas zahlen - mehr als Deutschland.

„Russland versucht uns zu erpressen“, sagt Wladislaw Lukjanow, Abgeordneter der regierenden Partei der Regionen. Wenn der Politiker über Gaspreise redet, kochen seine Emotionen hoch. Die Rechnungen aus Moskau hätten ein Loch in den Staatshaushalt gerissen. Elf Milliarden Dollar musste die Ukraine 2012 an Gazprom zahlen, rechnet der 48-jährige vor.


Schuld sei Julia Timoschenko

Die Schuld für die Misere gibt er Julia Timoschenko. Die inhaftierte Ex-Ministerpräsidentin hatte den Gasvertrag im Dezember 2009 ausgehandelt und war deswegen 2011 von einem Kiewer Gericht zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Timoschenko habe den Vertrag zum Nachteil des Staates geschlossen, lautete die Urteilsbegründung. „Ich weiß nicht, was Timoschenko getrieben hat, so einen Vertrag zu unterschreiben“, sagt Lukjanow.

Die Europäische Union verurteilt die Prozesse und die Inhaftierung Julia Timoschenkos als politische Justiz. Doch ausgerechnet von Europa wünscht sich Präsident Viktor Janukowitsch Unterstützung. Am kommenden Montag (25. Februar) fliegt Janukowitsch zu einem Treffen nach Brüssel. Auf der Tagesordnung steht ein Assoziierungsvertrag, über den seit 2007 verhandelt wird und der die Ukraine eng an die EU binden soll. Solange Julia Timoschenko im Gefängnis sitzt, scheint eine Unterzeichnung des Abkommens jedoch ausgeschlossen.

„Es ist unmöglich voranzukommen, solange das Problem der selektiven Justiz in der Ukraine nicht beseitigt ist“, sagt Jan Tombinski, Leiter der EU-Delegation in Kiew. Präsident Janukowitsch weigert sich, Timoschenko freizulassen. Er fürchte sie als Konkurrentin, erklärt Andreas Umland, Politologe an der Kiewer Mohyla Akademie. „Janukowitsch will die Ukraine in die EU integrieren, doch den Preis dafür nicht zahlen“, ergänzt Umland.


Putin macht sich das Dilemma zunutze

Janukowitsch steckt in einem Dilemma - und das macht sich Russland zu Nutze. Präsident Wladimir Putin verspricht, die Gaspreise zu senken, und bietet eine Alternative zur Europäischen Union. Er will die Ukraine in eine gemeinsame Zollunion mit Belarus und Kasachstan locken. Belarus zahlt bereits einen niedrigeren Gaspreis, weil es Mitglied dieser Freihandelszone ist. Die Ukraine kann sich jedoch nur für eine Variante entscheiden: Entweder Anbindung an die EU oder Zollunion mit Russland. Das geht selbst der als russlandnah geltenden Partei der Region von Janukowitsch zu weit, auch wenn das Nachbarland im Austausch den Gaspreis senken würde. „Wir sollten unsere Freiheit nicht für wirtschaftliche Vorteile verkaufen“, beteuert der Abgeordnete Lukjanow.

„Für die Partei der Regionen ist Russland ein Problem“, erklärt Politologe Andreas Umland. Kiew hoffe auf eine günstige Energiepolitik, doch Russland verlange als Gegenleistung die Kontrolle über wichtige Ressourcen. Seit Jahren will Gazprom das ukrainische Gastransportsystem kaufen. Als Druckmittel benutzt Russland die geplante South-Stream-Pipeline, die durchs Schwarze Meer über Bulgarien führen und die Ukraine umgehen soll. Kiew könne an South-Stream beteiligt werden, so das Angebot aus Moskau, wenn die Ukraine ihre Pipelines verkaufe. Bisher hat die Janukowitsch-Regierung dieses Geschäft abgelehnt. Geht South-Stream jedoch ans Netz, würde die Ukraine ihre strategische Stellung als Gastransitland einbüßen.


Fracking als Ausweg?

Der Assoziierungsvertrag mit der EU würde dem Land zwischen den Karpaten und der Krim neue Chancen bieten. „Er bedeutet die Integration in den europäischen Markt“, erklärt Andreas Umland. Doch Janukowitsch will Timoschenko lieber im Gefängnis sehen und verbaut sich den Weg nach Europa. Die ukrainische Staatsanwaltschaft bereitet derzeit eine Mordanklage gegen Timoschenko vor. Der Frau mit dem Zopf droht lebenslange Haft. „Wenn sie schuldig ist, soll sie ihre Strafe absitzen“, meint Politker Wladislaw Lukjanow.

Möglicherweise findet Janukowitsch einen anderen Weg aus der Erdgasfalle. Geologen vermuten in der Ukraine 1,2 Billionen Kubikmeter Schiefergas. Internationale Energiekonzerne wollen das Gas mittels Fracking aus dem Gestein holen und das Land von russischem Erdgas unabhängig machen.


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