„Tauwetter“ zwischen Ungarn und Slowakei
Eine schwierige Geschichte steht zwischen beiden Völkern: Große Teile der Slowakei gehörten einst zu Ungarn. Bis heute sprechen Regierungspolitiker in Budapest abwertend von der Provinz „Oberungarn“, wenn sie die Slowakei meinen. Budapest spielt sich als Schirmherr der rund 600.000 ungarnstämmigen Slowaken auf, die vorrangig im Süden der Slowakei leben. Denen bot man die ungarische Staatsbürgerschaft an, mit all den Vorteilen, die daran hängen. Die Slowakei reagierte empört: Wer das Angebot annehme, verliere automatisch seine slowakische Staatsbürgerschaft, konterte Bratislava. Der Streit schwelt, ist bis heute nicht ausgeräumt.
Auf der anderen Seite sind da die Benes-Dekrete, die nach dem Zweiten Weltkrieg auch die Magyaren – wie die Sudetendeutschen – zu Verrätern stempelten und entrechteten. Für die Slowakei gehören die Dekrete zum Rechtssystem bis heute. Bratislava könnte sie auch nicht so ohne weiteres für ungültig erklären. Das würde Tschechien gegenüber den Sudetendeutschen in eine missliche Lage bringen.
Diese Probleme aus der Geschichte waren für slowakische Nationalisten immer willkommener Anlass, sich über die Nachbarn zu mokieren. Berühmt berüchtigt waren die jahrelangen verbalen Ausfälle des Chefs der Slowakischen Nationalpartei, Jan Slota. Doch die Partei ist nicht mehr im Parlament vertreten, schon gar nicht mehr in der Regierung. Einst gehörte sie zu den Koalitionspartnern des jetzt neuerlichen Regierungschefs Robert Fico.
Strittige Fragen werden ausgespart
Heute regiert Fico allein, so wie Viktor Orban, sein ungarischer Kollege, Donau abwärts in Budapest. Das erleichtert vieles. Sowohl Fico als auch Orban dominieren ihre Länder innenpolitisch unangefochten. Und sie sind sich in ihren Machtattitüden sehr nahe. Der Staatssekretär im ungarischen Außenministerium, Zsolt Nemeth, sagte der slowakischen Tageszeitung Sme: „Ungarn hat jetzt einen starken Partner. Wir können uns in vielen Fragen einigen. Und die slowakische Regierung hat die Macht, diese Vereinbarungen auch einzuhalten.“
Orban und Fico haben sich auf eine pragmatische Linie geeinigt. „Sie lösen das, was zu lösen ist, und kehren die strittigen Fragen unter den Teppich“, beschreibt der Mitteleuropa-Korrespondent der Prager „Lidove noviny“, Lubos Palata, die Lage. Orban, der mit großen wirtschaftlichen und finanziellen Problemen zu kämpfen hat, lobt fortlaufend die wirtschaftlichen Erfolge der Slowakei als beispielgebend. In der Tat gehört die Slowakei zu den wenigen Ländern der EU, die immer noch ein Wachstum vorweisen können. Beide Regierungschefs vereinbarten jüngst den Aufbau eines gemeinsamen Autobahnnetzes, den Bau zweier Brücken, die die Länder besser verbinden sollen, und die massive Förderung des gegenseitigen Handels.
Die beiden Präsidenten gingen jetzt aber einen Schritt weiter. „Wir haben uns darauf geeinigt, die strittigen Fragen aufzulisten und sie von Expertengruppen bearbeiten zu lassen“, sagte der ungarische Staatschef Ader. Die Chance, diese Fragen zu lösen, sei heute größer denn je, fügte er hinzu. Dass das nicht leicht werden wird, machte jedoch gleich sein Kollege Gasparovic deutlich. Er warnte davor, namentlich die der Geschichte angehörenden Benes-Dekrete für populistische Ziele zu missbrauchen. „Dazu ist die europäische Geschichte zu kompliziert“, sagte er.
Wunderdinge sind also nicht zu erwarten. Dennoch, allein die Tatsache des Besuchs kann als Durchbruch bezeichnet werden. In der Amtszeit Gasparovics ist Ader schon der dritte ungarische Präsident. Aber der erste, mit dem sich der slowakische Präsident nun getroffen hat.