Festivalstadt Sarajevo
Srdjan Vuletic ist ein großer und kräftiger Mann. Der bekannte Regisseur redet kraftvoll, nicht selten kritisch über die politischen Zustände in seinem Land. Vuletic hat in Sarajevo studiert und sich mit Kurzfilmen einen Namen gemacht. 2004 hat er mit „Summer in the Golden Valley“ seinen ersten langen Film gedreht und wurde dafür mehrfach ausgezeichnet.
Heute unterrichtet der 42-Jährige an der Akademie der Darstellenden Künste in Sarajevo, auf der er selber 1995 seinen Abschluss gemacht hat. Derzeit dreht Vuletic einen Film über die „kleinen Leute in der Nachkriegsgesellschaft“, wie er sagt. Früher habe er Geschichten aus dem Krieg erzählt, heute beschäftige ihn, wie die Menschen mit ihren Kriegserfahrungen umgingen. Denn seiner Meinung nach „stecken hinter all dem guten Wetter und dem Smalltalk in den Kaffeehäusern viele Dramen“.
Das Festival gibt es schon seit 1995
Seine Filme hat Vuletic mehrfach auf dem „Sarajevo Film Festival“ (SFF) gezeigt, das jeden Jahr im August stattfindet. Inzwischen sei das Festival zu einer Plattform für junge, aufstrebende Filmemacher geworden, sagt Vuletic. Jedes Jahr besuchen mehr als 2.000 Journalisten das Festival. „Als es 1995 gegründet wurde“, erinnert er sich, „ging es nur darum, Kunst zu produzieren“. Der Kommerz, die Vermarktung, das Happening, all sei später dazu gekommen.
Heute zieht das SFF sogar internationale Hollywood-Größen an: 2012 stellte die Schauspielerin Angelina Jolie ihr Regiedebüt „In the Land of Blood and Honey“ vor. Sie sagt, die Begegnungen mit den Menschen hätten sie „für immer verändert“. Jolie hat das SFF bereits mehrfach besucht und ist inzwischen Ehrenbürgerin von Sarajevo.
Das Festival ist zu einem Treffpunkt für Studenten, Filmemacher, Touristen und Neugierige geworden. „Es ist mein Lieblingsfestival“, sagt die 24-jährige Mia Cotic. Die Kroatin studiert in Sarajevo Schauspiel und schätzt vor allem die vielen hochkarätigen Workshops, die im Rahmen des Festivals gegeben werden.
Den Eintritt können sich die wenigsten leisten
Außerdem sei die Stadt in dieser Zeit von einem besonderen Flair umgeben, denn alles dreht sich nur um den Film. Die Bars lassen sich spezielle Getränke einfallen und die Straße ist wie eine große Bühne. „Ich würde auch gerne auf das Jazz-Festival im Herbst gehen“, meint Cotic, „aber das ist mir, ehrlich gesagt, zu teuer“. Die Eintrittskarte für ein Konzert kostet umgerechnet 20 Euro. Das ist bei einem Durchschnittseinkommen von 300 Euro im Monat nicht gerade wenig – und für Studenten nahezu unerschwinglich.
Eigentlich sollte es in Sarajevo viel mehr Festivals geben, meint Mia Cotic – „denn in Städten wie London oder Paris ist ja auch ständig etwas los“. Nun muss man berücksichtigen, dass Sarajevo nur 300.000 Einwohner hat, London hingegen mehr als acht Millionen. Und: Es gibt in Sarajevo tatsächlich eine ganze Reihe von Festivals. Neben dem SFF gibt es zum Beispiel noch das internationale Folklorefestival, das Ballettfestival und das alternative Theaterfestival MESS.
MESS ist das älteste Festival der Stadt. Es wurde bereits 1960 gegründet. Dabei ist Sarajevo kein Eldorado für alternative Theaterbühnen. In Serbiens Hauptstadt Belgrad gibt es beispielsweise mehr als 30 Bühnen, in Sarajevo dagegen nur drei. Gerade deshalb sind die Organisatoren von MESS auf diese lange Tradition besonders stolz. Allen voran die junge Theaterregisseurin Selma Spahic. Sie war 2012 Programmkoordinatorin bei MESS und kümmerte sich auch um die so genannte „Future MESS“, eine Plattform für junge, unbekannte Künstler. Mehr als 10.000 Besucher hat das Festival jedes Jahr.
Korruption und Kommerz
Boris Kargotic ist einer davon. Der 25-jährige Student schaut sich die meisten Stücke an, weil sie im Anschluss an der Universität durchgenommen werden. „In Sarajevo ist das Theater fast tot“, sagt er. Das wichtigste Theater der Stadt, das Nationaltheater, zeige viel Mittelmaß. Zwischen den Zeilen ist die Rede von Korruption, weil das Theater jedes Jahr ein Budget von mehreren Millionen Euro zur Verfügung steht, das bei den Produktionen aber kaum sichtbar wird. So kommt die Musik in der Regel aus der Konserve, Geld für ein eigenes Orchester gibt es nicht.
Das unterschiedliche Niveau der Ensembles wurde unter anderem beim vergangenen Ballettfestival sichtbar. Während die Sarajevoer Tänzer klassisches Russisches Ballett aufgeführt haben, beeindruckte die „Bitef Dance Company“ aus Belgrad mit modernem Tanz auf höchstem Niveau. Regionalliga und Champions League stehen dann sozusagen auf einer Bühne. „Hier in Bosnien und Herzegowina ist die Finanzierung jedes Jahr wieder ein Kampf“, klagt Regisseurin Selma Spahic. Zwar werde das alternative Theaterfestival MESS von finanzkräftigen Sponsoren wie dem Goethe-Institut, der amerikanischen Botschaft und dem British Council unterstützt, aber das Budget, das vom Staat kommt, werde immer weiter zusammengekürzt.
„Dabei machen Festivals wie MESS Sarajevo lebendiger“, betont Spahic. Gerade für eine Stadt, die mit 44 Monaten die längste Belagerung der Neuzeit erlebt hat, seien Festivals wie ein Lebenselixier. Das SFF ist entstanden, weil die Menschen so etwas wie ein Bedürfnis nach Kultur hatten. Heutzutage wirft es ein Schlaglicht auf eine Region, die seit dem Bosnienkrieg immer weiter in Vergessenheit gerät. Und gerade für junge Menschen, die kein Geld haben zu reisen, kommt das Festival gelegen. „Schließlich bekommen sie dadurch mit was gerade in der Welt passiert und welche neuen Trends gesetzt werden“, sagt Selma Spahic. Ihrer Meinung nach machen Festivals aus einer Stadt eine Metropole.
Überall fehlt Geld
Ob Metropole oder nicht, mit Geldsorgen haben alle Festivals in Bosnien und Herzegowina zu kämpfen – sogar das bekannte Sarajevo Film Festival. „Der Staat gibt für Kultur immer weniger Geld aus“, stellt Jovan Marjanovic fest, der sich beim SFF um den Kontakt zur Filmindustrie kümmert. „Unser Vorteil ist, dass es uns schon so lange gibt.“ Das Budget umfasst insgesamt 1,2 Millionen Euro – ähnlich große Festivals wie das in Cannes, Venedig oder Berlin kosten ein Vielfaches. In Sarajevo setze man hingegen auf Low Budget, meint Marjanovic.
Darüber klagt auch Filmemacher Srdjan Vuletic. Das jährliche Budget des Nationalen Filmfonds umfasst nicht mehr als eine Million Euro. Wenn man in Deutschland von Filmförderung spricht, spricht man von einer Gesamtsumme in Höhe von 300 Millionen Euro. Oder ein anderes Beispiel wie mit Kultur in Bosnien und Herzegowina umgegangen wird: Im September wurden die staatlichen Museen von einem Tag auf den anderen geschlossen, weil kein Geld mehr da war. Überraschend: Die Bevölkerung nahm die Schließungen stoisch hin. Keine Spur von Protest.
Ist es also schwieriger als Filmemacher in Bosnien und Herzegowina als in Deutschland? „Nein“, sagt Vuletic und schüttelt den Kopf. Man habe weniger staatliche Förderung, aber das bedeute einfach nur, dass man sich für seine Produktionen Kooperationspartner im Ausland suchen müsse. Wütend macht ihn etwas anderes: Dass die Regierung nicht in die heimische Filmindustrie investiert und dass man Kameramänner, Cutter und Aufnahmeleiter aus anderen Ländern holen muss.
Weggehen will der 42-jährige Srdjan Vuletic deshalb aber noch lange nicht. Er meint: „Wenn ich in Zukunft besser leben will, muss ich etwas dazu beitragen. Meine Geduld ist schon lange am Ende, aber ich kann versuchen, Lösungen vorzuschlagen.“ Damit hofft er vor allem die junge Generation anzusprechen. Die solle Filme machen, die aufrütteln. Denn seiner Meinung passiert in Bosnien noch viel zu wenig: „Dieses Land muss endlich aus seinem Dornröschenschlaf erwachen. Der Krieg ist lange vorbei.“