Kosovo

Dauerbaustelle Kosovo

Das Stadtzentrum von Pristina macht nicht den Eindruck, Hauptstadt des zweitärmsten Landes Europa zu sein. Überall wird gebaut, die Straßen werden von PS-starken Geländewagen beherrscht. „In den fünf Jahren seit der Unabhängigkeit haben wir zum ersten Mal in unserer Geschichte die Chance, uns nach außen zu präsentieren“, sagt Wirtschaftsberater Kujtim Dobruna im edlen Rings-Restaurant in Pristinas quirligem Zentrum. „Das ist zwar unglaublich motivierend. Aber wir müssen es natürlich auch erst einmal lernen.“


Zarte Annäherung an Serbien

Seit dem 17. Februar 2008 ist Kosovo ein eigener Staat, weil es sich von Serbien losgesagt und als unabhängig erklärt hat. Bis dahin war es offiziell noch ein UN-Protektorat, das nach dem von der NATO geführten Unabhängigkeitskrieg 1999 errichtet worden war.

Inzwischen haben 98 Länder den Staat anerkannt, und damit etwas mehr als die Hälfte aller UN-Staaten überhaupt. Ob Kosovo mit seinen 1,7 Millionen Einwohnern allerdings jemals selbst ein UN-Staat werden kann, ist fraglich, sperren sich doch die ständigen Sicherheitsrats-Mitglieder Russland und China aus alter Verbundenheit zu Serbien dagegen. Serbien ohnehin wird Kosovo nie anerkennen, das machen serbische Regierungsvertreter regelmäßig klar.

Immerhin aber kam es vor wenigen Tagen in Brüssel zu einem historischen Treffen der Präsidentin Kosovas, Atifete Jahjaga, und ihrem serbischen Kollegen Tomislav Nikolic. Bis vor kurzem undenkbar. Auch die Regierungen verhandeln seit Monaten darüber, wie man miteinander auskommen kann, ohne sich formell anzuerkennen. Anfang Februar hat Belgrad zwar keinen Botschafter, aber einen Verbindungsoffizier ernannt, der das Land bei der EU-Mission in Pristina vertritt.


Die „Schatzis“ bringen das Geld

Während sich die Beziehungen zu Serbien unter dem Druck der EU Schritt für Schritt normalisieren, wird allerdings der kosovarischen Elite zunehmend klar, wie wenig wirtschaftliche Substanz das Land aufzuweisen hat. Industrie ist kaum vorhanden, die Landwirtschaft kann im Wettbewerb gegen die Nachbarländer nicht mithalten. Stark ist lediglich die Bauwirtschaft, angeheizt von rund 500 bis 600 Millionen Euro pro Jahr, die die so genannten „Schatzis“, Verwandten aus dem Ausland, vor allem aus Deutschland und der Schweiz, überweisen. „Das bringt zwar zunächst Geld in Umlauf, aber es ist zugleich schädlich für die Motivation, eine Arbeit aufzunehmen“, wie Agron Demi, Chef des thinktanks GAP Institut betont.

Das gigantische Autobahnprojekt von Pristina an die albanische Grenze ist das mit Abstand größte der Bauvorhaben. Sein Nutzen erscheint fraglich, solange es kaum Waren gibt, die im Ausland verkauft werden können. Kaum etwas zeigt Kosovos Misere so deutlich wie die negative Handelsbilanz: Exporten von lediglich 320 Millionen Euro standen 2011 Importe von 2,5 Milliarden Euro gegenüber – finanziert durch die Überweisungen der „Schatzis“.


Eine hauptsächlich junge, auslandserfahrene Bevölkerung

Viele Kosovaren wollen deshalb am liebsten auswandern, um Geld zu verdienen und um damit in Kosovo ein Eigenheim zu bauen. Im Land rechnen sich die Wenigsten eine Chance auf einen Job aus. Arbeitsplätze werden kaum nach Qualifikation vergeben, sondern besetzt von einflussreichen Verwandten. Korruption grassiert in Verwaltung und Großunternehmen. Auf der Liste von Transparency International liegt das Land auf Platz 105 zwischen Gambia und Mali. „Kosovos Fähigkeit, organisierte Kriminalität und Korruption in den Griff zu bekommen, ist noch immer sehr eingeschränkt“, bilanziert die EU-Kommission in einem vor wenigen Tagen veröffentlichten Fortschrittsbericht zum Thema Visa-Liberalisierung.

Dennoch herrscht in Kosovo ein erstaunlicher Optimismus. Die junge Bevölkerung glaubt an sich und den eigenen Staat. 50 Prozent der Kosovaren sind unter 30 Jahre: Schon gibt es die ersten IT- Unternehmen in Pristina. Andere Unternehmen nutzen die guten Sprachkenntnisse der jungen auslandserfahrenen Bevölkerung, etwa für Call Centers.

Unfreundlich sieht es dagegen im Norden des Landes aus. Im Flecken rund um die Stadt Mitrovica leben noch rund 40.000 Serben, die sich bislang weigern, die Behörden des Kosovo anzuerkennen. Schulen und Krankenhäuser werden von Belgrad bezahlt. Dort allerdings schrumpft die Bereitschaft dazu, die immerhin bis zu einer halbe Milliarde Euro jährlich zu überwiesen. Seit im Dezember faktisch Grenzkontrollen zwischen den beiden Staaten errichtet worden sind, wird den kosovarischen Serben zunehmend klar, dass sie ihre einstigen Hoffnungen auf eine Abspaltung vergessen können.


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