Ungarn

Orbans Rache am Rechtsstaat

Ungarns Verfassungsgericht hat bereits einige Male Gesetze der rechtsnational-konservativen Orban-Regierung gekippt. Zuletzt erklärte es Anfang Januar die umstrittene Wählerregistrierung für verfassungswidrig, sehr zum Ärger des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban und seines regierenden Bundes Freier Demokraten (Fidesz).

Eine derartige Einmischung der obersten Richter soll künftig nicht mehr vorkommen: Im Zuge einer großangelegten Verfassungsänderung, deren Entwurf in der vergangenen Woche veröffentlicht wurde, will die Budapester Regierungsmehrheit die Befugnisse des Verfassungsgerichtes beschneiden. Außerdem sollen viele der für verfassungswidrig erklärten Gesetze Eingang in das ungarische Grundgesetz finden und damit praktisch unangreifbar gemacht werden. „Das Imperium schlägt zurück“, kommentierten ungarische Medien den Plan und sprachen von einem „Rachefeldzug“ gegen das Verfassungsgericht.


Frontalangriff auf den Rechtsstaat

Dabei geht es nicht nur um simple Rache. Der nunmehr schon vierte Entwurf zur Änderung der Verfassung, die erst Anfang letzten Jahres in Kraft trat, ist ein Frontalangriff auf rechtsstaatliche Prinzipen und Bürgerrechte, wie ihn Orbans Regierungsmehrheit bisher nicht wagte.

Vor allem werden die Kompetenzen des Verfassungsgerichtes stark beschnitten. So soll das Verfassungsgericht Änderungen des Grundgesetzes künftig nur noch auf ihre formale, nicht auf ihre inhaltliche Rechtmäßigkeit überprüfen dürfen. Außerdem sollen sich die Richter in ihren Urteilen künftig nicht mehr auf Entscheidungen berufen dürfen, die sie vor Inkrafttreten der neuen Verfassung im Januar 2012 getroffen haben.

Ungarns erster postkommunistischer Präsident des Verfassungsgerichtes und spätere Staatschef Laszlo Solyom kommentierte dies mit den Worten, das sei so, als wolle man Ärzten vorschreiben, ihre Studien und Erfahrungen zu vergessen und nur anhand der Vorschriften des vorletzten Jahres zu heilen. Der Verfassungsrechtler György Kollath bezeichnet das Vorhaben sogar als „juristische Vendetta“.


Die „Würde der Nation”

Rechtmäßig eingeschränkt werden könnte in Ungarn künftig auch die Meinungsfreiheit, und zwar laut Entwurf nicht nur, wenn es beispielsweise um die Aufstachelung zum Rassenhass geht, sondern auch, wenn die nicht näher definierte „Würde der ungarischen Nation verletzt“ wird.

Studenten sollen verpflichtet werden, nach einem staatlichen Studium für eine bestimmte Zeit in Ungarn zu bleiben und zu arbeiten. So will die Regierung der Abwanderung der Fachkräfte und Akademiker entgegenwirken – doch das EU-weit geltende Prinzip der Freizügigkeit wäre damit verletzt.

Auch einige der ultrareaktionären sozialpolitischen Vorstellungen von Orban und seiner Regierungsmehrheit sollen in der Verfassung verankert werden. So wird der Familienbegriff dem Entwurf zufolge auf die Ehe und die Beziehung zwischen Kindern und Eltern verengt – kinderlose Paare oder Geschwister würden damit womöglich schlechter gestellt werden. Obdachlose kann laut Entwurf das Aufenthaltsrecht auf öffentlichen Flächen entzogen werden. Und schließlich soll künftig das Parlament darüber entscheiden, welche Religionsgemeinschaft als Kirche gelten darf und welche nicht. In allen drei Fällen hatte das Verfassungsgericht entsprechende gesetzliche Bestimmungen zuvor für grundrechtswidrig erklärt. Werden sie nun in der Verfassung verankert, sind sie kaum mehr zu kippen.


Vergleich mit Putins Russland

Zu weiteren umstrittenen Verfassungsergänzungen zählen die Aufhebung der Hochschul-Autonomie, das Verbot für Wahlkampfreklame in privaten Medien und das Recht des Generalstaatsanwaltes, vor einem von ihm ausgewählten Gericht Anklage zu erheben. Die beiden letzteren Bestimmung waren vom Verfassungsgericht zuvor ebenfalls als grundgesetzwidrig deklariert worden.

Mit der Verabschiedung des Entwurfs soll in diesen Tagen begonnen werden, die Fraktionsmitglieder der Regierungsmehrheit haben ihn bereits unterschrieben. Oppositionsparteien hingegen kritisieren den Entwurf auf das Schärfste. So etwa wirft der Chef der grün-alternativen Partei „Politik kann anders sein“ (LMP) der Regierungsmehrheit vor, sie agiere „im Glauben an die Willkürherrschaft“. Das außerparlamentarische Oppositionsbündnis „Zusammen 2014“ spricht von einem „Amoklauf gegen Verfassungsordnung“.

Der renommierte Verfassungsrechtler Gabor Halmai sieht den Entwurf im Zusammenhang mit der „systematischen Abschaffung der Verfassungsordnung“, seitdem Orban und Fidesz 2010 an die Macht kamen. „Schon die seit 2012 gültige Verfassung hat die Institutionen, welche als Gleichgewicht zur Macht der Regierungsmehrheit wirken sollen, entleert“, sagt Halmai. „Der jetzige Ergänzungsentwurf zeigt, dass die Verfassung nicht mehr die höchste Norm ist. Ungarn wird damit zu einer illiberalen Demokratie, ähnlich wie Putins Russland, ohne wirkliche Garantien der Verfassungsstaatlichkeit.“


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