Kroatien

Vor dem Beitrittsschock

„Die EU? Da wird nichts besser werden als es jetzt ist“, sagt Gordana Kelec. Die 56-Jährige bietet auf dem Zagreber Tresnjevka-Platz Frischkäse und Rahm, Kajmak genannt, aus eigener Produktion an. „Europa kann uns nichts bringen, wenn wir nicht vorbereitet sind“, spricht Gordana Kelec aus, was derzeit viele Kroaten denken.

Kroatien soll am 1. Juli der EU beitreten. Die heimischen Medien hatten die kroatischen Beitrittsvorbereitungen oft mit denen Polen verglichen, zum Nachteil des Adriastaates. Warnungen von Experten, dass einzelne Wirtschaftszweige wie Landwirtschaft und Industrie nicht konkurrenzfähig seien, sind auch wenige Monate vor dem Stichtag noch aktuell. Der Ernst der wirtschaftlichen Lage werde trotz Rezession ignoriert, sagt Vladimir Cavrak, Professor an der Wirtschaftsfakultät in Zagreb. Er ist sich sicher: „Wir werden eine Art Bewusstseinsschock erfahren.“


Ein Heer von Arbeitslosen

Dennoch wird die EU-Kommission in ihrem letzten Monitoring-Bericht zu Kroatien im März 2013 ein positives Urteil abgeben, heißt es in Kroatien. Erst kürzlich überwand das Land mit der Privatisierung der maroden Werften eine der letzten Hürden, und präsentierte der Kommission einen Verkaufsvertrag. An dem seit Jahrzehnten verlustreichen Sektor hängen 10.000 Arbeitsplätze. Sie werden sich nach und nach in das Heer der Arbeitslosen einreihen, deren Quote im Frühjahr laut Prognosen auf über 20 Prozent steigt.

Der Finanz- und der Dienstleistungssektor, allen voran der Tourismus, verwinden den „Beitritts-Schock“ voraussichtlich noch am leichtesten. Dorthin fließen die meisten ausländischen Direktinvestitionen (FDI), und vor allem auf den Tourismus setzt das Land alle Hoffnungen. Doch retten kann er die kroatische Wirtschaft, die gerade jetzt auf Exporte und Konsum angewiesen ist, nicht – trotz eines Rekordsommers schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Vorjahr um 1,8 Prozent.

Ein großes Problem in dem Adrialand ist der viel zu große öffentliche Sektor, der ineffizient arbeitet. Während in der Krise die Arbeitsplätze in der Privatwirtschaft zurückgingen, stellte der öffentliche Bereich mehr Leute ein. Hier setzt auch die Kritik an von Experten zahlreicher internationaler Institutionen und Bonitätshäuser wie Standard & Poor’s (S&P) und Moody‘s. Diese setzten Kroatiens Rating auf „Ramsch“-Niveau und forderten Reformen, vor allem des Arbeitsmarktes. Doch genau das will der ein Jahr alten Mitte-Links-Regierung nicht gelingen: Die Auslandsverschuldung betrug zuletzt 100 Prozent des BIP, das Haushaltsdefizit könnte in diesem Jahr auf 5,8 Prozent des BIP steigen. Die kroatische Nationalbank (HNB) fürchtet nun, dass Kroatien von der EU als Land mit „potenziellen makroökonomischen Ungleichgewichten und hoher Verletzlichkeit“ bewertet wird. Für 2013 prognostizierten die Notenbanker ein schwaches Wachstum von 0,3 Prozent.


Auslandsinvestitionen schrumpfen

Die Umstellung auf EU-Normen ist dennoch im Gange, sowohl in der Verwaltung als auch bei den Betrieben. „Mein Zusteller hat Unsummen investieren müssen, um die Vorgaben zu erfüllen“, sagt die Stand-Nachbarin von Gordana Kelec, die auf dem Zagreber Markt Sauerkraut verkauft und ihren Namen nicht nennen will. „Ich weiß nicht, wer diese Bürokratie nötig hat. Das ist der Grund, warum keine Investoren kommen“, fügt sie hinzu.

Tatsächlich investieren immer weniger internationale Firmen in den Adriastaat: In den ersten neun Monaten des Vorjahres verzeichnete Kroatien nur 452,7 Millionen Euro Auslandsinvestitionen. Zum Vergleich: 2008 waren es noch 4,2 Milliarden Euro. Der geschlossene Markt und die Korruption sind es, die viele Auslandsinvestoren abschrecken. Probleme, die der Staat nach wie vor nicht in den Griff bekommt. Der Ökonom Cavrak sieht es ganz nüchtern: „Der EU-Beitritt wird Kroatiens Probleme nicht lösen.“


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