Kroatisches Tagebuch: In Lumpen in die EU
Es vergeht kein Tag, ohne dass ich in meiner Straße jemanden sehe, der in einer Mülltonne wühlt. Nicht nur Obdachlose, sondern auch immer mehr ganz passabel gekleidete Menschen: Rentner, Frauen und Männer im mittleren Alter. Sie verdienen mit dem Sammeln von Plastikflaschen ihren Lebensunterhalt. In Zagreb, der Hauptstadt des künftigen EU-Mitgliedsstaats Kroatien, wird die Armut immer sichtbarer.
Manche, die das Müllsammeln nötig haben, bezeichnen sich als „findig“ oder „geschäftstüchtig“, wie der Vater einer Freundin, der mit 150 Euro im Monat auskommen muss, weil er in Frührente geschickt wurde. Zynisch oder optimistisch? „Schockiert“, wie der kroatische Präsident Ivo Josipovic, der seinen ehemaligen Professor im Container wühlen sah, ist jedenfalls schon lange keiner mehr. In seiner Präsidentschaftskampagne im Dezember 2009 versprach Josipovic, die Armut zu bekämpfen. Doch in diesen etwas mehr als drei Jahren hat sich die Situation der Kroaten noch verschlechtert.
Bald gibt es mehr Rentner als Arbeitende
Zahlen verdeutlichen das Elend: 20 Prozent der Kroaten sind arbeitslos, jeder fünfte ist armutsgefährdet. Ein Mindeststandard ist für jeden Dritten zum frommen Wunsch geworden. Kürzlich warnte die Pensionistengewerkschaft, dass immer mehr Rentner zu Sozialfällen würden. Mit 1,2 Millionen übersteigt die Zahl der Rentner bald die Zahl der arbeitenden Bevölkerung. Von ihren mageren Pensionen versorgen die Alten oft noch ihre erwachsenen Kinder, die arbeitslos geworden sind.
Die Devise in Europa lautet: Sparen, um der Krise Herr zu werden. Doch diese Rechnung geht nicht auf, schon gar nicht für Kroatien, wo die Armut immer mehr um sich greift. Zumindest die Renten will die Regierung nun nicht mehr weiter kürzen. Alle anderen verlieren den Boden schneller unter den Füßen, als sie „EU“ sagen können.