Tschechien

Nationalistische Töne im Wahlkampf

Vor dem entscheidenden zweiten Wahlgang an diesem Freitag und Samstag haben die Kandidaten – der bürgerliche Außenminister Karel Schwarzenberg und der frühere linke Premier Milos Zeman – nicht etwa um Zukunftsthemen gestritten. Derer gäbe es genug: der Ausbau des Atomkraftwerkes Temelin etwa, die demoskopische Entwicklung hin zu einer Rentnergesellschaft und deren Folgen, die Rolle Tschechiens in Europa, der Euro oder die immer schwächer werdenden Leistungen tschechischer Schüler in ihrer Muttersprache und in Fremdsprachen sind nur einige wenige.

Doch die zahlreichen Duelle in Radio und Fernsehen wurden von einem Uralt-Thema völlig überlagert: der Nachkriegsvertreibung der Deutschen. Als Schwarzenberg seine nicht neue These vertrat, dass diese Vertreibung aus heutiger Sicht eine grobe Verletzung der Menschenrechte darstelle, für die heute die damals Regierenden gemeinsam mit Präsident Edvard Benes vor das internationale Tribunal in Den Haag zitiert werden würden, war die Zukunft nicht mehr wichtig. Zeman spielte den Empörten, sprach Schwarzenberg jegliche Eignung für das höchste Amt im Staate ab und nannte ihn einen „Sudetjaken“, ein verächtlicher Begriff für Vertriebenenfunktionäre. Demonstrativ erschien Zeman zu jedem weiteren Duell mit der tschechischen Staatsflagge am Revers seines Anzugs.


Schwarzenberg als „vaterlandslosen Gesellen“ beschimpft

Die in einem Wahlkampf offenkundig nicht eben glückliche Äußerung Schwarzenbergs kam auch für einen anderen wie gerufen: Präsident Vaclav Klaus sah seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt, dass dieser Außenminister ein „vaterlandsloser Geselle“ sei, der die Nachkriegsordnung in Frage stelle. Jetzt müssten die Tschechen wieder Angst um ihre Häuschen haben, lautete seine Botschaft. Klaus sagte wörtlich, er werde Schwarzenberg das „nie verzeihen“.

Der Sohn des Präsidenten sprang dem Vater bei und bezichtigte den Vater Schwarzenbergs, ein Verräter gewesen zu sein, der mit den Deutschen kollaboriert habe. Eine dreiste Lüge zwar, aber bei vielen Tschechen, die sich mit der Geschichte nicht auskennen, blieb etwas hängen. In die unterste Schublade griff danach Klaus‘ Ehefrau Livia, eine gebürtige Slowakin. Sie wolle nicht, sagte sie, dass auf der Prager Burg eine First Lady sitze, die (als Österreicherin) nur Deutsch spreche.

Das Wahlkampfteam von Zeman wollte dann auf der Grundlage einer antisemitischen Schmähschrift auch noch herausgefunden haben, dass im Stammschloss der Ehefrau Schwarzenbergs Nazi-Bilder hängen. Dass besagtes Schloss seit 300 Jahren einen anderen Besitzer hat, verschwiegen Zemans Detektive vorsorglich.


Die Wahl ist eine Richtungsentscheidung

Die Schläge unter die Gürtellinie gingen weiter: Zeman behauptete, dass der Sprecher der Sudetendeutschen, Bernd Posselt, in einem deutschen Interview Schwarzenberg für seine Benes-Kritik Beifall gespendet habe. Posselt aber hatte aus gutem Grund die tschechische Wahlkampagne mit keinem Wort kommentiert. Wer aber in Tschechien kann das nachprüfen?

Im Kern geht es beim Urnengang an diesem Wochenende um eine Richtungsentscheidung: Verharrt Tschechien in alten nationalen Mythen der eigenen Unfehlbarkeit und in der Zeit der Korruption, der einst Klaus und Zeman die Tore geöffnet haben? Oder führt es die Samtene Revolution von 1989 unter Vaclav Havel zum endgültigen Sieg, wie es der frühere Prager Kardinal Miloslav Vlk skizziert hat? Dies würde einschließen, dass nach der lauter fragenden jungen Generation auch die Politik beginnen müsste, sich mit der eigenen Geschichte auseinander zu setzen. Schwarzenberg zitierte in diesem Zusammenhang Sigmund Freud: Dass, was wir verdrängen, erscheint uns irgendwann wieder, aber in schlimmerer Form.

Wie sich der schmutzige Wahlkampf auf das Ergebnis auswirken wird, ist offen. Die Umfragen sehen Zeman leicht vorn, der sich auf die weniger gebildeten Tschechen auf dem Land und auch auf die alten Kommunisten stützen kann. Doch die Meinungsforschungsinstitute haben sich auch in der ersten Runde der Wahlen geirrt. Das eröffnet Schwarzenberg, der seine Bastionen in Prag und bei den jungen gebildeten Tschechen hat, eine Chance. Tschechische Kommentatoren sprechen mit Blick auf den Inhalt der Debatten von einem Lackmustest für die tschechische Nation. Die angesehene Wochenzeitung „Respekt“ schrieb: Wenn Zeman mit seiner antideutschen Kampagne einen Erdrutschsieg von 84 Prozent davon trägt – „dann haben wir ein Problem“.


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