Wahlkampf als Casting-Show
Wenn ein privater tschechischer Fernsehsender die beste Sendezeit für ein Politikerduell frei räumt, dann nicht für strohlangweilige, am Ende vielleicht gar noch politische Abfragerei von Ansichten und Absichten der Kandidaten. Nein, der Sender TV Prima, der mit Politik ansonsten wenig am Hut hat, lässt es krachen. Der ohrenbetäubende Lärm, den die Zuschauer im Studio schon zu Beginn veranstalten, gehört zum Konzept des Duells. Ein „Applausometer“ misst bis auf zwei Stellen hinter dem Komma die Lautstärke, mit dem der Einmarsch der beiden vermeintlichen Favoriten der anstehenden Präsidentenwahl beklatscht und begrölt wird.
Eine Wahl nach dem Vorbild von „Tschechien sucht den Superstar“, hatte Amtsinhaber Vaclav Klaus misslaunig vorhergesagt, als beide Kammern des Parlaments gegen seine Empfehlung erstmals die Direktwahl des Staatsoberhauptes beschlossen hatten. „Dieser Präsident wird nicht vom Volk gewählt, sondern im Fernsehen gekürt“, schwante Klaus. Er sollte Recht behalten.
Zwar treten an diesem Freitag und Samstag insgesamt neun Kandidaten an, um Klaus nach zehn Jahren im Amt abzulösen. Die etablierten Parteien haben bei den politikmüden Tschechen nur geringe Chancen. Doch TV Prima hält sich an die Umfragen, die für einen zweiten Wahlgang in 14 Tagen zwei frühere Regierungschefs weit vorn sehen. Als Favoriten gelten Außenseiter-Kandidaten.
Der eine ist Milos Zeman. Er hatte nach 1989 die lange verbotenen Sozialdemokraten wieder aufgebaut und nach ein paar mageren Jahren bis in den Regierungspalast an der Moldau geführt. Zeman war nicht nur Premier und Parlamentspräsident, sondern schon einmal Kandidat für das höchste Staatsamt. Vor zehn Jahren scheitere er gegen Klaus, weil die eigenen Genossen ihn nicht wollten. Zeman trat danach verbittert aus der Partei aus, verzog sich auf sein Landhaus, wollte mit Politik nie wieder etwas zu tun haben, und hat nun doch wieder Appetit bekommen.
Zeman war neben Klaus und Vaclav Havel eines der ganz wenigen politischen Schwergewichte in Prag nach 1989. Zeman und Klaus schätzen sich bis heute, obwohl sie ideologisch andere Richtungen verfolgen. Der Respekt füreinander rührt aus der Zeit her, da Klaus Mitte der Neunziger Jahre die sozialdemokratische Minderheitsregierung Zemans tolerierte, er selbst dafür den Posten des Parlamentspräsidenten abfasste und beide so ziemlich alle Pfründe des Landes unter sich aufteilten. Damit brachten sie große Teile der Öffentlichkeit gegen sich auf, die nicht mehr von Demokratie sprachen, sondern von „Demokratura“.
Zeman ist auch deshalb heute der Favorit von Klaus, weil er aus der Sicht des amtierenden Präsidenten am ehesten so wie er die „nationalen tschechischen Interessen“ verteidigen könnte. Wie gut Zeman das kann, hatte er als Regierungschef bewiesen, als er die Sudetendeutschen als „Fünfte. Kolonne“ Hitlers verunglimpfte, die sich glücklich hätten schätzen können, dass sie nach dem Krieg „Heim ins Reicht“ gedurft hätten, statt alle an die Wand gestellt zu werden. Das war seinerzeit selbst Zemans Berliner Genossen Gerhard Schröder zu viel: der sagte damals demonstrativ einen Besuch in Prag ab.
Der zweite Favorit heißt Jan Fischer. 2009 hatte dieser die tschechische EU-Ratspräsidentschaft gerettet. Mitten in dieser Präsidentschaft hatten die damals oppositionellen Sozialdemokraten den bürgerlichen Premier Mirek Topolanek aus nichtigen Gründen gestürzt. Fischer, seinerzeit Chef des Statistischen Amtes, wurde zum Premier einer Beamtenregierung auserkoren und hielt fortan den katastrophalen Imageverlust für Tschechien in Grenzen.
Nach seinem Ausscheiden wurde er mit dem Posten eines Vizechefs der in London ansässigen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung belohnt. Dort hat er zumindest passabel Englisch gelernt, wie er in der Fernsehshow auf Fragen eines in Prag lebenden amerikanischen Journalisten bewies. Zeman stellte sich bei dieser Aufgabe auch nicht dumm an, zeigte zudem bessere Russisch-Kenntnisse als Fischer.
Fischer, der sich als „unabhängig und überparteilich“ präsentiert, hatte bei der Fernsehshow zu erklären, weshalb er in seiner Nach-Wende-Bewerbung um das Statistische Amt seine langjährige Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei „vergessen“ hatte. „Danach sei in dem Fragebogen nicht gefragt worden“, gab er lakonisch unter dem Jubel seiner Fans zum Besten.
Vielleicht irren sich die Umfragen aber auch, wie häufig in Tschechien. Geht man nach der Zahl der Fans im Internet, dann hieße der neue Präsident mit großem Abstand Karel Schwarzenberg. Doch bei Facebook tummeln sich deutlich mehr besser Gebildete als der Durchschnitt der Wähler. Und so hat Vaclav Havels ehemaliger Kanzler und der jetzige weltweit renommierte Außenminister maximal Außenseiterchancen.