Schlechtes Jahr für Adebar in Masuren
Olsztyn (n-ost) Der Herbsteinbruch der vergangenen Woche mit einem kräftigen Temperatursturz hat auch die letzten masurischen Weißstörche zum Aufbruch in die Überwinterungsgebiete im östlichen Afrika gezwungen. Die Folge: Vereinsamt thronen die bis zu 500 Kilogramm schweren Storchennester auf Kirchen, Hausdächern und alten Strommasten. So auch in Zywkowo, einem der storchenreichsten Dörfer Masurens und Polens. Hier, in Blickweite des Königsberger Gebietes, zählten die Ornithologen in der diesjährigen Brutsaison 46 besetzte Horste, so viele wie nie zuvor. "Ein Rekordjahr", meint dazu denn auch Anna Andrejew.
Zusammen mit ihrem Mann Wladyslaw zählt sie seit vielen Jahren die Nester in dem nur aus neun Höfen bestehenden Dorf an der polnisch-russischen Grenze. Doch trotz der Höchstzahl besetzter Nester fällt die Bilanz für das Brutgeschäft 2003 sehr schlecht aus. Nur 52 Jungvögel machten sich Ende August zu ihren Winterquartieren Richtung Süden auf. Kein Vergleich zu den mehr als100, die die Andrejews in früheren Jahren zählten. "Viele Eier und 25 Jungvögel haben die Elternpaare dieses Jahr aus ihren Nestern geworfen", sagt die Landwirtin. Durch den trockenen Sommer habe es zu wenig zu fressen gegeben.
Zudem sei die Brutsaison sehr kurz gewesen. Im April lag noch Schnee und im Mai waren im Vergleich zu früheren Jahren erst sehr wenige Störche heimgekehrt. Die Zeit für die Storchenjungen, sich einen ausreichenden Energievorrat für die Kräfte zehrende Zugzeit anzufressen, reichte nicht. "Dies fühlten die Storcheneltern", glaubt Andrejew. Mit fatalen Konsquenzen für ihre Brut.
Damit sind die Befürchtungen eines ungünstigen Storchenjahres wahr geworden, die Ornithologen äußerten, als die Ankunft des weißen Vogels Mitte April noch auf sich warten ließ. Bei der Ursachensuche für die Verspätung war in polnischen Zeitungen häufig der Irakkrieg ausgemacht worden. Vogelexperten, wie Marian Szymkiewicz, halten dies für unwahrscheinlich. "Die Störche waren in der Türkei durch miserables Wetter aufgehalten worden", erklärt der Leiter des Naturkundemuseums in Olsztyn, Hauptstadt der Woiwodschaft Ermland und Masuren.
Schlechte Storchenjahre wie dieses sind aufgrund witterungsbedingter Schwankungen nichts Ungewöhnliches. Dessen ungeachtet gilt Polen mit rund 42000 Storchenpaaren immer noch als Paradies für den Weißstorch. Ein gewohntes Bild waren die storchenbesetzten Nester in vielen masurischen Dörfern auch wieder für viele deutsche Touristen in dieser Urlaubssaison. Rund ein Viertel der polnischen Storchenpopulation ist im Land der 1000 Seen zu Hause. Langfristig droht dem Charaktervogel Gefahr von einer ganz anderen Seite. Die mögliche Aufgabe vieler landwirtschaftlicher Betriebe im Zuge des EU-Beitritts von Polen könnte dazu führen, dass etliche Flächen nicht mehr gemäht und bewirtschaftet werden. Die Grünflächen verbuschen und verbrachen. Erschwert wird dadurch die Nahrungssuche für den weiß-schwarz gefiederten Stakvogel, der bei der Jagd nach Fröschen, Mäusen, Heuschrecken oder Regenwürmern auf offenes Gelände mit niedrigem Pflanzenwuchs angewiesen ist.
In Zywkowo wollen die Dorfbewohner Adebar nach der diesjährigen Brutpleite helfen. "Wir werden neue Teiche anlegen, damit unsere Störche bei uns noch mehr Nahrung finden und sich hier wohl fühlen", erklärt Anna Andrejew.