Polen

Rettet den Weihnachtskarpfen

Sie wickeln sich in Folie und rot beschmierte Supermarkt-Tüten, legen sich auf die Bürgersteige und schnappen wie Fische nach Luft: Mit drastischen Aktionen machen polnische Tierschützer auf die Lage des Weihnachtskarpfens aufmerksam.

„Vor Weihnachten findet in Polen ein Karpfenmassaker statt“, behauptet die 32-jährige Aktivistin Natalia Gieburowska. „Millionen Tieren leiden und werden qualvoll umgebracht.“ Tatsächlich werden in Polen zur Weihnachtszeit um die zehn Millionen Karpfen geschlachtet. Laut polnischem Karpfenzüchterverband sind das 90 Prozent des Gesamtjahresfangs. Gebraten oder gebacken, in der Suppe und als Filet sind die Fische in Polen eine traditionelle Weihnachtspezialität.


Tierschützer fordern humanere Schlachtmethoden

Zur Tradition gehört auch, lebende Karpfen zu kaufen und eigenhändig zu schlachten. Mit „lebendigem Karpfen“ werben die Händler in den Einkaufszentren und auf den Märkten. Doch bevor die Fische auf dem Weihnachtstisch landen, werden sie beim Transport oft in kleinen Behältern mit zu wenig oder ohne Wasser gelagert. Die Verkäufer fassen sie grob an den Kiemen, werfen sie auf die Waage und packen den zappelnden Fisch in eine Plastiktüte. Viele Hobbyköche töten die Karpfen mit dem Hammer oder einem stumpfen Küchenmesser und nehmen die halbtoten Tiere dann ungeschickt aus – zuhause oder an den Verkaufsständen.

Seit Jahren protestiert der polnische Tierschutzverband Gaja gegen den Verkauf der lebenden Fische. „Das, was auf unseren Straßen und Märkten passiert, ist nicht nur grausam, sondern verstößt auch gegen das Tierschutzgesetz“, so Gaja-Chef Jakub Bozek. Mit Happenings und großangelegten Medienkampagnen machen auch Prominente auf das Leid der Fische aufmerksam. Die erfolgreiche Schriftstellerin Olga Tokarczuk schrieb dieses Jahr sogar eine Erzählung über das stumme Leiden der Karpfen in der Badewanne während des Familienfestes. Dabei verlangen sie nicht einmal, gänzlich auf Karpfen zu verzichten. Wichtig ist nur, kein lebendiges Tier zu kaufen.


Überbleibsel aus dem Kommunismus

Viele Polen meinen, der Kauf lebendiger Karpfen, das Aufbewahren in der Badewanne und das eigenhändige Töten gehöre nun mal dazu. „Das ist Quatsch“, sagt Beata Tarnawa, Projektkoordinatorin von Gaja. „Das ist ein Überbleibsel aus dem Kommunismus. In der Krise kaufte man alles im Voraus, auch Tage und Wochen vor Weihnachten“.

Dabei ist es seit zwei Jahren verboten, Karpfen laienhaft zu töten. 2010 passte das Parlament das entsprechende Gesetz den EU-Regeln an. Seitdem müssen die Fische wie andere Wirbeltiere behandelt werden. Die Tötung darf nur unter Betäubung und unter „Vermeidung von Schmerzen und Stress“ erfolgen, außerdem darf sie nicht öffentlich oder in Anwesenheit von Minderjährigen durchgeführt werden. Generalstaatsanwalt Andrzej Seremet forderte die Ermittler auf, auf Signale aus der Bevölkerung zu reagieren. Doch glaubt man den Tierschützern, ignorieren viele Staatsanwälte eingehende Anzeigen. Der Mehrheit der Polen aber sei das Schicksal der Karpfen herzlich egal, klagen sie.


Tierschützer kontrollieren Supermärkte

Die Tierschützer kontrollieren auch dieses Jahr Supermärkte und Verkaufsstände. Sie intervenieren, wenn gegen das Tierschutzgesetz verstoßen wird. „Meistens belehren wir die Karpfenverkäufer nur. Eine Strafanzeige ist eine Seltenheit“, so Ewa Rudnicka, Chef-Inspekteurin des Tierschutzverbandes Animals. Sie beobachte außerdem, dass immer mehr Polen vor Weihnachten gefrorene Fische kaufen.

Natalia Gieburowska verzichtet zu Weihnachten ganz auf Karpfen. Schon als Kind habe sie die Eltern überredet, den lebenden Fisch in einem See wieder in die Freiheit schwimmen zu lassen. Sie erinnert an den Aberglauben, dass Tiere an Heiligabend sprechen könnten. „Wenn die Karpfen eine Stimme hätten, würden sie den Menschen ein paar bittere Worte sagen“, ist sie überzeugt.


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