Schläge im Parlament nach Timoschenkos Kampfansage
Den Begriff „politischer Schlagabtausch” nehmen auch die neu gewählten Abgeordneten im ukrainischen Parlament allzu wörtlich. In der ersten Arbeitssitzung der Obersten Rada flogen am Mittwoch die Fäuste, nachdem zwei Oppositionspolitiker ihren Seitenwechsel erklärt hatten. Vater Alexander und Sohn Andrei Tobalow, die für die Vaterlandspartei der inhaftierten Oppositionsführerin Julia Timoschenko kandidiert hatten, wollen künftig fraktionslos agieren. Faktisch werden sie vermutlich die regierende Partei der Regionen (PR) von Präsident Viktor Janukowitsch unterstützen. Aufgebrachte Timoschenko-Anhänger prügelten die „Verräter” deshalb aus dem Saal.
Die Rada ist seit jeher für hitzige Debatten, Tumulte und Schlägereien berühmt-berüchtigt. Das Handgemenge am Mittwoch war allerdings noch aus einem anderen Grund symptomatisch: Immer wieder werden im ukrainischen Politikbetrieb Stimmen oder Entscheidungen gekauft. Der Wechsel von Vater und Sohn Tobalow veränderte die Sitzverhältnisse weiter zugunsten von Janukowitschs PR. Sie verfügt in der Rada laut Wahlergebnis über 185 der 445 Sitze und kann sich zudem auf die Kommunisten (32) und die meisten der 50 unabhängigen Abgeordneten stützen. Timoschenkos Vaterlandspartei, die nationalistische Freiheitsbewegung Swoboda und die Partei Udar (Schlag) von Box-Weltmeister Vitali Klitschko kamen zusammen auf nur 178 Mandate. Nach dem Tobalow-Coup sind es noch 176.
Timoschenko will 2015 kandidieren
Internationale Beobachter hatten die Wahl Ende Oktober als undemokratisch kritisiert und Manipulationen zugunsten des Janukowitsch-Lagers beanstandet. Die Opposition kämpft dennoch unbeirrt weiter – allen voran Timoschenko. Die Vaterlandspartei hatte ihre inhaftierte Vorsitzende zuletzt demonstrativ als Kandidatin für die Präsidentenwahl 2015 nominiert. Praktische Bedeutung hat der Schritt zu diesem Zeitpunkt zwar nicht. Verurteilte Straftäter haben kein passives Wahlrecht. Doch die Entscheidung hat Signalfunktion. „Mit mir ist weiterhin zu rechnen”, lautet die Botschaft.
Adressat der Nachricht ist vor allem der autoritär regierende Präsident Janukowitsch. Aber Timoschenko richtet sich keineswegs nur an ihren politischen und persönlichen Erzfeind. Vertraute der 52-Jährigen ließen zu Wochenbeginn durchblicken, dass sie mit einem gemeinsamen Kandidaten der Opposition rechnen. Das aber würde bedeuten: Vitali Klitschko müsste auf eine Bewerbung verzichten.
Der Box-Champion äußerte sich zunächst nicht zu den Kandidaten-Spekulationen. Der 41-jährige Zwei-Meter-Mann nahm stattdessen den fast 24 Jahre älteren und mehrere Köpfe kleineren Regierungschef Nikolai Asarow ins Visier. „Er ist unfähig, die Reformen anzupacken, die unser Land so dringend braucht”, sagte Klitschko. Kurz zuvor hatte Janukowitschs Partei der Regionen Asarow erneut für das Amt des Ministerpräsidenten nominiert. Auch das Kabinett, mit dem er sich noch am Mittwochabend in der Rada zur Wahl stellen wollte, soll fast unverändert bleiben. Es galt als sicher, dass Asarow und seine Mannschaft eine Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigen würden.