Rumänien

Plündern statt Regieren

Rumänien wirkt wie ein Land, das sich aus Versehen in die Europäische Union verirrt hat. Seine Probleme sind die von Schwellenländern: Die Infrastruktur ist völlig unterentwickelt und großenteils marode. Ein Viertel der Bevölkerung hält sich mit Subsistenz-Landwirtschaft über Wasser, ein Drittel lebt an oder unter der Armutsgrenze.


Rumänien kann seine EU-Mittel nicht verwerten

Einen nennenswerten Mittelstand gibt es nicht, zu Hunderttausenden haben fähige und gut gebildete Menschen dem Land in den letzten Jahren den Rücken gekehrt. Drei Millionen rumänischer Billiglöhner arbeiten im europäischen Ausland, ihre Finanztransfers machen jährlich bis zu zehn Prozent des rumänischen BIP aus. Und: Die ihm zustehenden EU-Fördergelder kann Rumänien so gut wie nicht verwerten.

Die Zustände im Land schreien geradezu nach verantwortlichem Regieren. Doch das wird es in Rumänien vorerst nicht geben. So lautet das Ergebnis der gestrigen Parlamentswahlen. Stattdessen wird der Kampf um die ganze Macht im Staate weitergehen, oder, wie es die renommierte Politologin Alina Mungiu-Pippidi nennt, der Kampf um die Möglichkeit, staatliche Ressourcen zu plündern.


Schwere wechselseitige Diffamierungen

Die Wahllokale waren gerade geschlossen, da verkündete Rumäniens siegesgewisser Regierungschef Victor Ponta vor laufenden Kameras eine biblische Drohung. Wer jetzt das Schwert erhebe, so Ponta, der werde durch das Schwert sterben. Der Adressat dieser Kriegserklärung war der rumänische Staatspräsident Traian Basescu, die Botschaft eindeutig: die regierende „Sozialliberale Union“ (USL) wird nicht ruhen, bis sie Basescu aus seinem Amt vertrieben hat.

Seit mehr als sechs Monaten dauert dieser Machtkampf nun an. Er gipfelte im Sommer in dem dreimonatigen Tauziehen um die Suspendierung und Absetzung des Staatspräsidenten. Seither erlebt Rumänien eine der tiefsten politischen Krisen seit dem Sturz des Diktators Ceausescu. Durch das Wahlergebnis sieht sich die „Sozialliberale Union“ nun endgültig legitimiert, den Staatspräsidenten zu entmachten. Die USL gewann rund 59 Prozent der Stimmen, die „Allianz (Ge-)Rechtes Rumänien“ (ARD), die dem Staatspräsidenten nahesteht, kam, weit abgeschlagen, nur auf 17 Prozent.

Schon im Wahlkampf war absehbar gewesen, wohin Rumänien nach den Wahlen steuern würde. Es war einer der wüstesten Wahlkämpfe im postkommunistischen Rumänien, dominiert von schweren wechselseitigen Diffamierungen.


Ponta möchte Macht des Präsidenten beschneiden

Der Staatspräsident Traian Basescu, von Amts wegen zu politischer Neutralität verpflichtet, mischte dabei kräftig mit. Mehrmals kündigte er an, den Regierungschef Victor Ponta im Falle eines USL-Wahlsieges nicht erneut für das Amt des Ministerpräsidenten zu nominieren. O-Ton Basescu dazu: „In der Politik muss man manchmal Kröten schlucken, aber keine Schweine.“

Die Ministerpräsidenten-Frage wird auch das beherrschende Thema der nächsten Wochen sein. Laut Verfassung wäre Basescu verpflichtet, den Kandidaten der Parlamentsmehrheit zu nominieren, doch aus dem Wortlaut der entsprechenden Verfassungspassagen ergeben sich minimale Interpretationsspielräume, die Basescu wie seit jeher maximal ausschöpfen will. Wird Ponta nicht nominiert, wäre das für die Parlamentsmehrheit das Signal, erneut mit der quälenden Prozedur der Amtsenthebung zu beginnen.


Ein exzentrischer Immobilienhai will mit ins Boot

Aber in der „Sozialliberalen Union“ denkt man längst weiter: Zusammen mit der Partei der ungarischen Minderheit UDMR, die bei den gestrigen Wahlen gerade noch den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schaffte, soll die Verfassung per Zwei-Drittel-Mehrheit erheblich geändert werden. Die USL möchte beispielsweise die Macht des Präsidenten deutlich beschneiden und die Rechte des Verfassungsgerichtes einschränken. Vor allem aber will die Ponta-Regierung den Kampf gegen die Korruption stark beschränken.

Für den Fall, dass die Ungarn-Partei bei Zwei-Drittel-Projekten nicht mitmacht, hat der exzentrische Immobilienhai und Fußballklubbesitzer Gigi Becali bereits angekündigt, er werde einfach Abgeordnete der Opposition „mitbringen“ - sprich einkaufen.


Dauer-Überläufer beherrschen politische Klasse

In der Bukarester Politik macht sich selten jemand die Mühe der Diskretion. Kein Wunder: Das Land wird von einer kleinen Schicht Reicher und Einflussreicher ohne besonders großes Feingefühl „verwertet“, von Zeit zu Zeit wechseln sich die Parteien an der Macht ab, ein Gutteil der politischen Klasse besteht ohnehin aus Dauerüberläufern. Jetzt geht es für die „Sozialliberale Union“ unter Victor Ponta darum, den eigenen Seilschaften längerfristig die Pfründe zu sichern, vor allem den Zugang der eigenen Parteigänger zu abertausenden lukrativer Beamtenposten und der klienteleigenen Firmen zu üppig bezahlten Staatsaufträgen.

Von dieser Elite hat sich die Mehrheit der rumänischen Gesellschaft längst völlig abgekoppelt, wie die aufschlussreichste Zahl der gestrigen Parlamentswahlen zeigt: Insgesamt beteiligten sich nur knapp 42 Prozent der Wahlberechtigten.


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