Ukraine

Luxusvilla in der Strahlenzone

Anatoli Digam zeigt Besuchern gerne seine neue Residenz. Der 25-jährige Geschäftsmann drückt auf eine Fernbedienung, ein zwei Meter hohes Stahltor öffnet sich. Zum Vorschein kommt eine schmucke Villa, die aussieht wie ein Bauernhaus in den Alpen. Der Rasen auf dem drei Hektar großen Gelände leuchtet in sattem Grün, hinten am See schaukelt ein Motorboot im Wasser. Die Idylle scheint perfekt, gäbe es nicht einen Haken: Ein Stacheldrahtzaun neben dem Grundstück stört das Panorama. Am Zaun hängt ein Schild mit der Aufschrift „Verbotene Zone“. 30 Kilometer weiter steht das Atomkraftwerk Tschernobyl.

Ukrainische Millionäre haben die Umgebung von Tschernobyl als „Erholungspark“ entdeckt. Immobilienmakler lassen in und neben der Quarantäne-Zone, die nach dem Reaktorunglück 1986 errichtet wurde, Luxusvillen bauen. Geschäftsleute hoffen auf steigende Bodenpreise, denn die Regierung plant eine Neubesiedlung des 30 Kilometer großen Gebiets.


Millionäre kommen zum Jagen und Angeln

Die meisten Domizile entstehen in Stracholijsse, einem Dorf neben dem Sperrgebiet. „Vor dem Bau haben wir die Strahlung gemessen“, sagt Anatoli Digam. Die Radioaktivität habe im normalen Bereich gelegen. Rund 3.000 Dollar habe Digam pro hundert Quadratmeter bezahlt. Das Geld habe er von seinem Vater geerbt, der in der Ukraine mehrere Elektromärkte besaß. „Ich komme am Wochenende hierher, um zu jagen und mich zu erholen“, erzählt der Millionär.

Nach dem Tschernobyl-Unglück hat die Regierung alle Dörfer im Umkreis von 30 Kilometern zum Reaktor evakuiert, auch Stracholijsse wurde geräumt. Seit sich die Millionäre im Ort ansiedeln, werden einst verfallene Häuser renoviert, Straßen neu gepflastert, Spielplätze angelegt. „Dadurch kommt Geld in unser Dorf“, sagt Rentner Aleksej Petrenko, der vor 15 Jahren in die Gemeinde zurückkam.

Stracholijsse liegt am „Kiewer Meer“, einem riesigen See nördlich von Kiew. In das Gewässer mündet der Fluss Pripjat, der 30 Kilometer nördlich am Atomkraftwerk Tschernobyl vorbei fließt. Im Sommer habe ein Anglerverein ein Clubhaus am Ufer des Sees eröffnet, berichtet Petrenko. Ein Kiewer Politiker habe außerhalb des Dorfes 30 Hektar Land für 170.000 Dollar erworben. Auch innerhalb der Sperrzone würden Grundstücke gekauft, berichten ukrainische Zeitungen.


Ministerpräsident Asarow will dem Gebiet neues Leben einhauchen

Immobilienmakler hoffen auf steigende Grundstückspreise, denn die Regierung will in der Sperrzone Industrie ansiedeln. „Es gibt gute Gründe, diesem toten Gebiet Leben einzuhauchen“, sagte Ministerpräsident Mikola Asarow im April bei einem Besuch im Kiewer Zentrum für Strahlenmedizin. Neben einer Eisenschmelzfabrik seien Holzverarbeitungsbetriebe und Windräder zur Stromerzeugung geplant. „Das wird Arbeitsplätze schaffen und Einnahmen bringen“, meint Asarow.

Oleg Bondarenko, Mitglied der Nationalen Kommission für Strahlenschutz, würde den südlichen Teil der Sperrzone komplett freigeben. „Messungen haben gezeigt, dass es keine Hindernisse für eine Besiedlung gibt“, sagt Bondarenko. Die Strahlendosis in Tschernobyl betrage pro Jahr 1,2 Millisievert, was deutlich unter der erlaubten Dosis von 20 Millisievert pro Jahr läge. Im April hat die Ukraine mit dem Bau eines neuen Sarkophags zum Schutz des Reaktors begonnen. Sobald der Betonmantel 2015 fertig ist, stünde einer Wiederbelebung der toten Zone nichts mehr im Weg, glaubt der Strahlenexperte. Die Gegend sei vor allem für Landwirtschaft geeignet, etwa zur Rinderzucht oder zum Anbau von Flachs, einer Pflanze zur Öl- und Fasergewinnung.

Millionäre und Einheimische nutzen die „unberührte“ Natur zum Jagen und Fischen. „Dass Wilderei und Fischfang in der Nähe des Sperrgebietes verboten sind, stört sie dabei nicht“, berichtet Wildhüter Andrej Lijssenko. Angler würden den Fischen zuerst Köpfe und Schwänze abschneiden, weil sich darin Radioaktivität sammle. Der Rest komme auf dem Tisch. Wildschweine und Hirsche, die den Sperrzaun überwinden, laufen Freizeitjägern vor die Flinte. Die Köpfe der Tiere werden abgesägt, die Körper auf Bauernmärkten verkauft, berichtet Lijssenko. Für die Köpfe haben die Millionäre eine besondere Verwendung: Sie enden als Trophäen an den Wänden der Luxusvillen.


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