Rechtsstaat auf der Kippe
„Rumänien ist kein Rechtsstaat“ – mit diesem Fazit meldete sich Staatspräsident Traian Basescu erstmals seit seiner Anfang September erfolgten Rückkehr ins Amt zu Wort. Ein Staat, dessen Parlament Urteile missachte oder die von Ermittlern beantragte Aufhebung der Immunität früherer Minister verweigere, könne nicht als solcher bezeichnet werden, so Basescu.
Die Standpauke des Staatschefs erfolgte, nachdem sich der rumänische Senat erstmals nach der Wende über ein rechtskräftiges Urteil des Obersten Gerichts hinweggesetzt hatte. Das Gericht hatte angeordnet, den der Regierungspartei angehörenden Senator und ehemaligen Kulturminister Mircea Diaconu wegen Unvereinbarkeit aus dem Senat auszuschließen. Doch der Senat entschloss sich trotz des Urteils gegen einen Ausschluss.
Basescu kritisierte darüber hinaus einen weiteren Vorgang. Das Abgeordnetenhaus hatte sich geweigert, die Immunität zweier Ex-Minister aufzuheben, gegen die die Staatsanwaltschaft wegen Verdachts auf Korruption ermitteln will. Diese Ex-Minister sollen zudem für Wahlbetrug beim Referendum verantwortlich sein, mit dessen Hilfe der linksliberale Premier Victor Ponta Präsident Basescu absetzen lassen wollte.
Das bürgerliche Staatsoberhaupt war im Juli von der kaum eingesetzten Mitte-Links-Regierung unter Premier Ponta per „Notverordnungsputsch“, wie es EU-Justizkommissarin Reding formulierte, vom Amt suspendiert worden. Das Referendum über seine Absetzung überlebte Basescu nur wegen zu niedriger Wahlbeteiligung.
Nun schießt sich die regierende Mitte-Links-Koalition auf die unabhängigen Rechtsinstitutionen des Landes ein. Generalstaatsanwaltschaft und Sonderstaatsanwaltschaft zur Korruptionsbekämpfung sollen durch die Ernennung neuer, gefügiger Chefs lahmgelegt werden. Auch die auf EU-Empfehlung hin gegründete Integritätsbehörde, die die Vermögensverhältnisse von Amtsträgern und Abgeordneten prüft, klagt über einen „nie dagewesenen politischen Druck“. Die Behörde hatte in den vergangenen Tagen drei Minister und den stellvertretenden Generalsekretär der Regierung bezichtigt, dass deren politisches Amt unvereinbar mit deren sonstigen Tätigkeiten sei.
Die Kabinettsliste des Sozialisten Ponta liest sich inzwischen wie ein Who’s Who untragbarer Politiker. Ponta selbst flog im Sommer mit einer gefälschten Doktorarbeit auf. Am Regierungstisch sitzen außerdem ein Holocaust-Leugner und mindestens fünf Minister mit Image- oder Inkompatibilitätsproblemen.
Basescu sagte, er werde nicht schweigend zusehen, wie Rechtsinstitutionen, Korruptionsbekämpfungsbehörden und Verfassungsgericht von der Mehrheit „systematisch niedergemacht“ würden.
„Gut gebrüllt, Löwe“, sagt die rumänische Politologin Sabina Fati. Doch bleibe fraglich, wie lange der Präsident sie im Alleingang verteidigen könne. Alles hänge letztlich vom Ausgang der Parlamentswahl vom 9. Dezember ab. Das Mitte-Links-Bündnis hofft auf die absolute Mehrheit und danach auf die Unterstützung kleinerer Fraktionen, um sich die nötige Verfassungsmehrheit zu sichern. Eine zügige Verfassungsnovelle wurde bereits zur Toppriorität erklärt − dabei sollen das aktuelle, semipräsidentielle Regierungssystem, aber auch die geltenden Ernennungsverfahren von Staatsanwälten, Richtern und Verfassungsrichtern geändert werden.
„Die bisherigen Äußerungen bieten Anlass zu erheblicher Sorge − offenbar sollen die Rechtsinstitutionen des Landes teils der Legislative, teils dem Justizministerium und damit der Exekutive untergeordnet werden. Hinzu kommt das Dauerbestreben, Verfassungsgericht und Integritätsbehörde zu schwächen“, erläutert Fati. Eine Novellierung des Grundgesetzes sei zwar angebracht, da es in vielen Punkten schwammig oder lückenhaft ist. Was sich jedoch in Rumänien anbahne, sei mehr als nur eine Änderung des Regierungssystems oder die Festigung der Macht nach dem Bespiel des ungarischen Nachbarn, warnt die Politologin – es sei schlichtweg die dauerhafte Immunität der korrupten politischen Klasse vor dem Gesetz.