Proteste gegen neues Wahlgesetz
Viele haben Kerzen mitgebracht, andere halten Schilder hoch, auf denen „Wir wollen einen Rechtsstaat!” steht. Mehrere tausend Menschen haben am Montagabend eine Menschenkette um das ungarische Parlament in Budapest gebildet. Sie protestierten gegen eine umstrittene Wahlrechtsreform, die die Abgeordneten in der kommenden Woche (Montag, 26. November) beschließen wollen.
Bei den Parlamentswahlen im Frühjahr 2014 soll nur noch abstimmen dürfen, wer sich zuvor registriert hat. Ungarn wäre damit das einzige Land, dessen Bürger sich vor jedem Urnengang auf eine Liste setzen lassen müssen - obwohl es ein funktionierendes Meldewesen gibt.
Oppositionelle und Beobachter sind überzeugt, dass die nationalkonservative Fidesz-Regierung mit der Einschränkung des Wahlrechts ihre Macht zementieren will. Unzufriedene Bürger, die nicht zu den Stammwählern einer Oppositionspartei gehören und bis zuletzt schwanken, könnten so von der Abstimmung ferngehalten werden, vermuten sie. Denn in den letzten zwei Wochen vor der Wahl werden sie sich nicht mehr registrieren können.
Offiziell heißt es, die Reform diene dazu, auch im Ausland lebenden Ungarn die Teilnahme an den Wahlen zu erleichtern. Doch Kritiker bezweifeln, dass man dafür auch alle in Ungarn lebenden Bürger registrieren lassen muss. Während Angehörige der ungarischen Minderheit in Rumänien, Serbien oder der Ukraine sich außerdem auch per Brief anmelden können, müssen Inlandsungarn persönlich aufs Rathaus. Um sich über ein Internet-Portal anmelden zu können, müssen potentielle Wähler sich zuerst einen Zugang besorgen – auch das geht nur persönlich auf dem Amt.
Kritiker befürchten, dass die geplante Wahlrechtsbeschränkung vor allem Arme, Junge und die Angehörigen von Minderheiten von den Wahlen ausschließen könnte. Auch in den USA, wo es ebenfalls eine Registrierung gibt (allerdings kein Meldewesen), sind es diese Gruppen, die den Wahlen häufiger fernbleiben. Auch bei den etwa eine Million Roma in Ungarn könnte die jetzt schon niedrige Wahlbeteiligung zurückgehen, befürchtet János Daróczi. Der 50-Jährige ist selber ein Rom und hat am Montagabend an der Menschenkette vor dem ungarischen Parlament teilgenommen. „Die Registrierung schließt Menschen aus, die arm und wenig gebildet sind, keine Nachrichten schauen und solche Änderungen gar nicht mitbekommen”, sagt Daróczi. „Das wird einen Großteil der Roma treffen. Von gleichen Bürgerrechten für alle kann dann nicht mehr die Rede sein.”
Fast 80 Prozent der Ungarn lehnen die geplante Einschränkung des Wahlrechts ab. Selbst unter den Anhängern der nationalkonservativen Fidesz, die das Land seit dem Frühjahr 2010 mit einer Zweidrittelmehrheit regiert, ist mehr als die Hälfte dagegen. Allerdings wollen zwei von drei Fidesz-Anhängern sich registrieren lassen, bei der größten Oppositionspartei MSZP ist es nicht einmal jeder Zweite.
Auch die Mobilisierung ihrer Wähler wird für die Opposition nicht einfach. Denn Wahlwerbung in kommerziellen Fernseh- und Radiosendern will die Regierung verbieten lassen, ebenso auf Online-Portalen. Damit wolle man die Kosten des Wahlkampfes senken, sagte Gulyás Gergely, Vize-Fraktionschef der Fidesz und Mitinitiator des Gesetzes, vor einigen Tagen im Fernsehen. Oppositionsparteien würden dadurch allerdings ins Hintertreffen geraten, kritisieren Beobachter. Denn die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung unterliegt diesen Beschränkungen nicht.
Die kleine Oppositionspartei „Demokratische Koalition”, die die Menschenkette am Montagabend vor dem Budapester Parlament organisiert hat, sieht die Aktion als Erfolg. „Jetzt wollen wir uns an Brüssel wenden, weil wir das Gesetz für einen Verstoß gegen die Grundwerte der Europäischen Union halten”, sagte der Parteivize Csaba Molnár. Andere hoffen, dass das ungarische Verfassungsgericht die Reform stoppt. Doch die Chancen dafür stehen nicht gut: Wichtige Details der Wählerregistrierung hat die Fidesz-Regierungsfraktion mit ihrer Zweidrittelmehrheit bereits direkt in die Verfassung hineingeschrieben.