Rumänien

Der Retter der Republik

Pünktlich um 20 Uhr sitzt Dan Diaconescu in seinem knallroten Studio. Dann beginnt seine Marathonsendung „Dan Diaconescu live“. Die Talkshow dauert in der Regel sieben Stunden. Mehrere Hunderttausend Zuschauer verfolgen die Sendung Abend für Abend, vor allem in den Dörfern und Kleinstädten.

Im Foyer des einstöckigen Neubaus am Rande der rumänischen Hauptstadt warten die Gäste dieses Abends. Ein Bioenergie-Heiler, eine Hellseherin, die den Untergang von Ministerpräsident Victor Ponta voraussagt, eine Gruppe Volkstänzer und ein prominentes Mitglied der „Volkspartei Dan Diaconescu“ (PPDD), dessen Gründer, Vorsitzender und Präsidentschaftskandidat der Moderator und Inhaber des Trash-Senders OTV selbst ist.



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Seit dem Sommer herrscht politisches Chaos

Der Chef sitzt am roten Tisch vor seinem Laptop. Der 44-jährige Moderator mit den grauen Haaren und auffälligen Designerschuhen unterbricht seine Gäste nur selten. Sein Kameramann holt sich einen Kaffee. Die Nacht wird lang. Es geht um Oltchim, das größte Chemieunternehmen des Landes. Die Gäste werfen der Regierung Verrat vor. Der ehemalige Industrieriese und wichtigste Arbeitgeber in der rumänischen Kreisstadt Ramnicu Valcea ist seit dem Sommer zahlungsunfähig und soll privatisiert werden.

Oltchim ist ein Reizthema in Rumänien. Das hängt auch mit dem politischen Chaos zusammen, das seit Sommer in dem von einer Wirtschaftskrise schwer gebeutelten Land herrscht. Der sozialdemokratische Regierungschef Victor Ponta und sein rechtsliberaler Präsident Traian Basescu bekämpfen sich bis aufs Blut. Ein Referendum zur Absetzung Basescus war im Juli gescheitert. Victor Ponta hängt zusätzlich noch eine Plagiatsaffäre an. Wenn die Rumänen nun im Dezember ein neues Parlament wählen, dann können sie zwischen zwei Übeln wählen: Einer Partei, die einen Plagiator schützt, und einer, die für den rigiden Sparkurs des Landes verantwortlich ist, der viele Rumänen an den Rand des Ruins getrieben hat.

Die Sehnsucht nach einem Retter ist groß

Oder sie entscheiden sich für Dan Diaconescu und dessen Volkspartei. Der Moderator wird im Wahlkreis von Regierungschef Victor Ponta kandidieren. Eine Kampfansage mit Konzept: Der Fernsehmoderator weiß, wie man aus der desolaten Situation Kapital schlägt. Er hat verstanden, wie groß inzwischen die Sehnsucht nach einem Retter ist. Oder zumindest nach einem, der überhaupt noch den Mut hat, sich als Retter zu präsentieren.

Dan Diaconescu nutzte die Diskussion um die Fabrik und brachte sich vor einigen Monaten selbst als Käufer ins Spiel. Er überbot kurzerhand den deutschen Chemiekonzern PCC, der bereits eine Offerte zur Privatisierung und Rettung der rund 3.300 Arbeitsplätze vorgelegt hatte. Diaconsescu bot 45 Millionen Euro für Oltchim, viermal so viel wie PCC.

Den Kaufvertrag hat Diaconescu bis heute nicht unterschrieben. Das Dokument enthalte formale Fehler, argumentieren seine Anwälte. Ministerpräsident Victor Ponta, der auf eine schnelle Privatisierung gehofft hatte, kritisiert das Verfahren als „Fortsetzung einer schlechten Telenovela“. Er und Wirtschaftsminister Daniel Chitoiu bezweifeln öffentlich, dass Diaconescu die Summe aufbringen kann. Sie riefen die Staatsanwaltschaft auf, ein Verfahren wegen Betrugs einzuleiten. Doch die Justiz blieb tatenlos, während Diaconescu vor laufender Kamera seine angebliche Zahlungsfähigkeit unter Beweis stellte: Er schleppte Säcke, die angeblich voller Geld waren, zum Wirtschaftsministerium. Was tatsächlich in den Säcken war, ist unklar. Die öffentlichkeitswirksame Aktion fand abends nach Dienstschluss statt. Beim Wirtschaftsministerium war nur noch der Pförtner da.

Diaconescus Partei könnte drittstärkste Kraft werden

Diaconescu ist für viele Rumänen der ersehnte Gegenspieler zur Regierung, die sich den Sparvorgaben der internationalen Geldgeber beugen und weitere Staatsunternehmen privatisieren muss. „Wir werden nicht mehr von Bukarest regiert, sondern von der EU, vom IWF und von dieser Angela Merkel. Die wollen nicht, dass wir unsere eigene Industrie haben, sondern nur alles möglichst billig kaufen“, empört sich beispielsweise Ion Burcea, der 23 Jahre als Arbeiter bei der Chemiefabrik Oltchim beschäftigt war. Inzwischen fährt er in Ramnicu Valcea Taxi. Burcea wird im Dezember Diaconescus Volkspartei PPDD wählen - wie zehn bis 15 Prozent seiner Landsleute. Die Partei wäre dann drittstärkste Kraft im Parlament und würde eine Schlüsselrolle bei den Koalitionsverhandlungen spielen.

Bereits vor den Kommunalwahlen im Juni fuhr der Diaconsescu durchs Land und traf seine Wähler. Es war genau wie seine Sendung ein Marathon mit kleinem Budget: Ein Kleinbus, ein kleines Team und die Kameras, die die Reise in Szene setzten. Der Fernsehmann hat Erfahrung mit direkter, live übertragener Kommunikation. Vor vier Jahren erzielte er Rekordeinschaltquoten, als er jeden Abend in einem anderen Dorf live nach einer vermissten Rechtsanwältin suchte. Der Fall, wahrscheinlich ein Eifersuchtsmord, beschäftigte jahrelang die rumänische Öffentlichkeit. Die OTV-Reporter suchten die Leiche nicht nur in Rumänien, sondern auch in Deutschland und in Dubai. Elodia wurde nie gefunden, doch Diaconescus Werbeeinnahmen stiegen rasant.

Der Moderator will auch seinen Sender retten

Heute leidet Diaconescus Sender OTV genauso unter der Wirtschaftskrise wie die Chemiefabrik Oltchim. „Diaconescu will mit seiner Aktion nicht das Chemieunternehmen, sondern seinen eigenen Sender retten“, vermutet der Publizist und Medienexperte Costi Rogozanu. „Gleichzeitig steigert er die Popularität seiner Partei.“

Vor wenigen Wochen erklärte Dan Diaconescu, dass er sich an allen geplanten Privatisierungen beteiligen will. Zwei Gasunternehmen, ein Atomkraftwerk und die Frachtsparte der rumänischen Bahn stehen auf der Liste des Internationalen Währungsfonds (IWF), der das Land finanziell unterstützt. „Wir wollen alles kaufen, um die Unternehmen vor gierigen ausländischen Investoren zu retten. Die haben sich schon zu oft eine goldene Nase verdient, während der Staat und die Belegschaft nichts davon hatten“, beteuert der studierte Ingenieur, der nach der Wende seine Karriere als Fernsehjournalist begann.

Vielen ist klar, dass es um politisches Kapital geht

Demnächst ist Diaconescu wieder zu Besuch bei Oltchim, um mit den Mitarbeitern vor laufenden Kameras zu sprechen. In Ramnicu Valcea ist vielen klar, dass es ihm um politisches Kapital geht. Vor dem Eingangstor der Chemiefabrik stehen vier Geldautomaten. Die Arbeiter prüfen hier jeden Tag nach ihrer Schicht, ob ihr Gehalt inzwischen eingetroffen ist. Mitte Oktober war ein Teil der Augustlöhne endlich auf den Konten. „Die spinnen doch alle“, schimpft ein älterer Arbeiter. „Wir hoffen, dass der Staat bald eine Lösung findet und wir die Arbeit wieder aufnehmen können“, sagt Gewerkschaftschef Corneliu Cernev. Es ist ein kalter Herbstabend in Ramnicu Valcea. Bald beginnt „Dan Diaconescu live“.


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