Ukraine

Boxer gegen Fußballer

Um es vorweg zu sagen: Jedes Mal, wenn ich die anstehende Parlamentswahl und deren Kampagne mit ihren zahlreichen Verstößen gegen das Wahlrecht und ihren völlig unzivilisierten und manipulativen Methoden beobachte, freue ich mich trotzdem. Die Regierung führt zwar einen unehrlichen, manchmal offenkundig schmutzigen Kampf gegen die Opposition. Die Opposition aber, welcher Art sie auch sein mag, führt auch einen Kampf. Selbst in scheinbar ausweglosen Situationen gibt sie nicht auf. Sie tut ihr bestes, um sportlich gesprochen mit einem möglichst guten Ergebnis in die Zielgerade einzulaufen. Auch wenn sie nicht gewinnt, so schneidet sie doch nicht schlecht ab.

Die Wähler glauben nichts mehr

Man darf nicht vergessen, dass die jetzige Opposition mit ihrer inhaftierten ehemaligen Führerin Julia Timoschenko vor wenigen Jahren selbst an der Macht war und auch nicht immer auf ehrliche Art und Weise die damalige Gegenpartei um den jetzigen Präsidenten Viktor Janukowitsch bekämpfte. Durch dieses stetige Wechselspiel der Macht entwickelt sich die Ukraine trotz allem langsam, aber stetig.

In erster Linie hat sich die Mentalität der Wähler verändert. Die Jugend erwartet von der Regierung, anders als die sowjetische Generation, nicht, dass sie Wahlversprechen einhält. Sie erwartet gar nichts mehr. Sie hat verstanden, dass Losungen wie „schon morgen werden wir die Lebensumstände verbessern“, mit denen die Partei der Regionen an die Macht kam, nicht umsetzbar sind.

Der Zynismus der Politiker hat abgefärbt

Der politische Populismus der Ukraine hat ihren Höhepunkt erreicht. Politiker, die Illusionen verkaufen, lösen zunehmend Ärger aus oder ernten sogar Gelächter. Die Mehrheit der jungen Leute fasst Politik als einen Unterbereich des Business auf, und zwar als eine Möglichkeit, auf leichte und unehrliche Art schnelles Geld zu verdienen.

Der Zynismus der Politiker provoziert bei der Mehrheit der Bevölkerung wiederum Zynismus. Präsident Janukowitsch hat mit seiner Partei der Regionen in seiner zweijährigen Amtszeit seine Wähler im Osten und Süden der Ukraine enttäuscht. Sein Gegner Viktor Juschtschenko hinterließ innerhalb von fast sechs Jahren (2004-2010) politisches Chaos und wirtschaftliche Stagnation und enttäuschte die Wähler im Westen und der Zentralukraine.

Die Regierung ist sich ihrer Unfähigkeit bewusst - und schuf sich selbst eine Opposition

Allen ist klar, dass die Ukraine einen Neuanfang braucht. Doch weil es kaum Ideen gibt, wie ein solcher Neuanfang aussehen könnte, gewinnen radikale Parteien wie die nationalistische „Swoboda“ – Freiheit – an Boden. Diese noch junge Partei gibt sich nach außen hin gemäßigt, um möglichst viele Wähler und nicht nur Nationalisten zu gewinnen. Sie hat gute Chancen, ins Parlament einzuziehen. Präsident Janukowitsch und seine Partei der Regionen sind dagegen nicht in der Lage, neue politische Ideen zu entwickeln. Und da sich die Regierung ihrer Unfähigkeit und Unbeliebtheit durchaus bewusst ist, nahm sie diese Wahl kreativer und phantasievoller in Angriff als es jede Regierungspartei vor ihr.

Kaum an der Macht, fing Präsident Janukowitsch bereits vor zwei Jahren an, die Weichen für diese Parlamentswahl zu stellen. Er begann mit der Demontage der Gegenseite. Die Verhaftung von Julia Timoschenko und ihrem Innenminister Jurij Luzenko sollten die Opposition entmachten und widerstandslos machen für die jetzige Wahl. Als Ersatz schuf die Regierung kurzerhand eine neue, bequemere, Opposition. Sie bot einer jungen ehemaligen Mitstreiterin Julia Timoschenkos, Natalia Korolewskaja, die Führung an.

Nur Klitschko macht nicht mit

Die neue Oppositionspartei wurde „Ukraine vorwärts“ getauft. Sie ähnelt in ihren Forderungen auffällig der Regierungspartei. Ein halbes Jahr vor den Wahlen war das ganze Land mit ihren Plakaten zugekleistert. Dann bekam die Partei auch noch zwei öffentlichkeitswirksame Gesichter: Fußballstar Andrej Schewtschenko und Ostap Stupka, den Sohn eines berühmten ukrainischen Filmschauspielers. Bereits in seinem ersten Interview machte Schewtschenko deutlich, wo er steht: Er sagte, sein Lieblingspolitiker sei Wladimir Putin.

Die Opposition verstand auch den Hintergedanken der Regierung, nämlich möglichst viele neue Parteien zu gründen, damit die Wähler mehr Auswahl haben und die einzelnen Parteien weniger Stimmen bekommen. Weil die neue Regierung dann die Fünf-Prozent-Hürde für das Parlament einführte, begannen sich einige Oppositionsparteien zu einer Bewegung zusammenzuschließen.

Doch nicht alle machten mit. Der zweite prominente Sportler im Ring, der Boxer Wladimir Klitschko, schloss sich mit seiner Partei „Udar“ nicht an. Und die Partei des früheren Präsidenten Viktor Juschtschenko wurde zum Oppositionsbündnis gar nicht erst zugelassen, um die Wähler nicht mit einem Politik-Versager abzuschrecken. Als Resultat verausgabt sich Viktor Juschtschenko, der 2004 dank der Orangenen Revolution an die Macht kam, mit der Kritik an Julia Timoschenkos Partei und der restlichen Opposition. Er behauptet von sich, die einzige oppositionelle Kraft zu sein, die nicht unter der Kontrolle des Kreml stehe. Die jetzige Regierung und Präsident Janukowitsch kritisiert Viktor Juschtschenko dagegen nicht.

Gefälschte Artikel in Lokalzeitungen

Immer mehr Aufmerksamkeit bekommen auch die Kommunisten, die mit ihrer Agitation die Hälfte des Landes für sich gewonnen haben. Für ihre Wahlkampagne verfügen sie über mehr Geld als je zuvor. Und laut allen Vorhersagen werden sie mit Leichtigkeit ins Parlament einziehen. Weil die Kommunisten der Seele der ostukrainischen Wähler, die von Janukowitschs Partei der Regionen enttäuscht sind, am nächsten sind. Sie versprechen, wie auch die Partei der Regionen, eine maximale Annäherung an Russland und die Einführung des Russischen als offizielle Amtssprache neben dem Ukrainischen. Der einzige Unterschied ist, dass die Kommunistische Partei, anders als die Partei der Regionen, sich gegen eine Annäherung an Europa ausspricht. Sie plädiert für den Zusammenschluss eines neuen vereinigten Staates bestehend aus Russland, Belarus und der Ukraine.

Die echten Oppositionskandidaten dagegen bekämpft die Regierung mit allen erdenklichen Mitteln. Kandidaten, wenn sie Geschäftsmänner sind, haben plötzlich Probleme mit ihrem Business. Sehr beliebt ist auch die sogenannte „schwarze PR“ – eine Anti-Werbung, mit deren Hilfe dem Kandidaten im Internet erlogene Korruptionsbeschuldigungen und andere Sünden vorgeworfen werden. Mit eben solchen Anschuldigungen erscheinen gefälschte Ausgaben real existierender Lokalzeitungen.

Angst vor den Videokameras

Paradoxerweise ist es der ukrainischen Regierung gleichzeitig enorm wichtig, dass Europa die Wahlergebnisse anerkennt. Nach einem Parlamentsbeschluss sollen deswegen in allen Wahllokalen Videokameras aufgestellt werden. Sie sollen alle möglichen Verstöße bei der Stimmabgabe und -auszählung aufzeichnen. Noch paradoxer wird dieses Vorhaben, wenn man bedenkt, dass die Regierungspartei angeblich ihre eigenen Leute zu Leitern der Wahlkommission erhoben hat.

Es fällt mir schwer, mir nun vorzustellen, welche Angst bei der Auszählung überwiegen wird: Die Angst vor dem Vorgesetzten, der befehlen könnte, die Stimmen zum Nutzen der Regierungspartei „auszuzählen“. Oder die Angst vor der Videokamera, die diesen Gesetzesbruch filmen und so die Straftat sichtbar machen könnte.


Weitere Artikel