Georgien

Der „georgische Traum“ geht in Erfüllung

„Bidsina! Bidsina!“, schreien sie. „Sakartwelos Gaumardschos“ folgt. Laut, fröhlich. „Es lebe Georgien“, rufen Hunderte von Anhängern, als ein oppositioneller georgischer Fernsehsender die ersten Prognosen der Parlamentswahlen verkündet, auf der Leinwand direkt vor der Parteizentrale in der Altstadt von Tbilissi. 70 Prozent für die Sechs-Parteien-Koalition „Georgischer Traum“ des Milliardärs Bidsina Iwanischwili, 24 Prozent für die „Vereinigte Nationale Bewegung“ des Präsidenten Michail Saakaschwili. Es sind vorläufige Zahlen, doch die Menschen pfeifen, klatschen. Der Wandel, das steht für sie fest, ist da. Endlich.

„Das Volk hat bestimmt, die Ehre Georgiens ist wiederhergestellt“, sagt Bidsina Iwanischwili einige Minuten später. Er sei nicht emotional, fügt er hinzu, aber er freue sich sehr. Auch weitere Exit Polls sehen die Opposition vorn. Allerdings könnte durch die Direktkandidaten das Ergebnis noch kippen. Das offizielle Endergebnis soll es erst heute im Laufe des Tages geben.


Ein Traum geht in Erfüllung

Für Ilja Peswianidse ist bereits jetzt schon „der Traum in Erfüllung gegangen“. Sein Retter habe gewonnen, ein Erlöser „ganz Georgiens“, wie es Ilja Peswianidse sagt. Der Mann, Anfang 60, mit Schnauzbart und einer Brille, die mehrere Lagen Klebeband zusammenhalten, spricht leise, ganz ohne Pathos. Er wolle einfach, dass es Georgien wieder gut gehe, dass es ihm und seiner Familie wieder gut gehe. Er wolle seine Bilder verkaufen, davon leben können, wolle, dass seine beiden Söhne gut verdienen. So steht er da am Morgen in einem Raum, der Schlafzimmer und Werkstatt und Schreibstube zugleich ist, mit Pinseln auf dem Boden und einem Computer in der Ecke, und blickt hinauf zum Berg und hinunter zu einem zweistöckigen Bau, gelb, mit bunten Plastikschaukeln davor.

Hier in der Kodschori-Straße von Tbilissi, im Kindergarten Nummer 144, steht Peswianidses Retter in der Sonne, umringt von Bodyguards, Fotografen, Kameraleuten und Journalisten. Er spricht – gewohnt zurückhaltend – vom Schicksal, von Zuversicht, von Stärke. „Unsere Geschichte war voller Hindernisse, und zum ersten Mal hat unser weises Volk die Möglichkeit, die Regierung durch eine Wahl zu Fall zu bringen“, sagt Iwanischwili. Er mischt Georgiens Politik derzeit so auf wie seit Langem niemand mehr. Iwanischwili will die Südkaukasus-Republik mit viel Geld in einen „freien und gerechten Staat“ verwandeln und tritt dabei dem immer autoritärer regierenden Präsidenten Michail Saakaschwili mächtig auf die Füße.


Der Präsident verliert seine zentralen Befugnisse

3,6 Millionen Georgier waren zur Wahl aufgerufen. 150 Sitze sind im Parlament zu besetzen. Momenten hält die Saakaschwili-Partei die Zweidrittelmehrheit.

Es ist eine entscheidende Wahl, da Georgien nach einer bereits beschlossenen Verfassungsänderung in einem Jahr zur parlamentarischen Republik werden soll. Damit verliert der Präsident seine starken Befugnisse. Im hochemotional geführten Wahlkampf haben sich die beiden Kontrahenten nichts geschenkt. Die Rhetorik war stark konfrontativ und geprägt von teils bizarren Vorwürfen, zudem kamen kompromittierende Videos ins Spiel. Vor allem nach Skandal über Folter und Misshandlungen in georgischen Gefängnissen kippte auch die Stimmung im Volk. Endlich habe man über die Missstände im Land offen sprechen können, erzählen viele Georgier. Die Angst sei ein wenig gewichen.

Mit Iwanischwili, so hoffen viele, werde der Druck nachlassen, werde Georgien wieder freier. „Er ist ein ehrbarer Mann“, sagt Ilja Peswianidse. An der Wand hat er ein Bild hängen, „Alte Zeiten“, hat er sein Werk genannt. Darauf sind eine Schildkröte und eine Eisenbahn zu sehen. „So ist Georgien, manchmal kriecht es, manchmal rast es. Wohin aber geht es jetzt?“


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