Georgien

Macht gegen Geld

Einmal, erzählt Paata, sei er auf die andere Seite hochgestiegen, hinauf zum Bergplateau über der Altstadt. Plötzlich waren da Bagger angerückt, das habe er sich anschauen wollen. Paata behält gern den Überblick, auch jetzt, auf dem Bergplateau über der Neustadt, wo er seinen Wachdienst verrichtet, 24 Stunden auf und ab gehen, 48 Stunden frei. Sein Blick gleitet zum Rike-Park herunter, mit Springbrunnen und bunten LED-Leuchten überall. Gärtner gießen die Blumen, Bauarbeiter verlegen Rohre. Wieder ein neuer, ein geschwungener Bau am Flussufer.

Die Feindschaft der beiden Kontrahenten spaltet auch die Gesellschaft

Viel Glas ist in Tbilissi mittlerweile verbaut worden, viel Stahl. Materialien, die Georgiens Hauptstadt das Antlitz einer neuen Zeit verleihen sollen, auf der einen Seite des Mtkwari-Flusses wie auf der anderen. Hier in der Neustadt die blauschimmernde Glaskuppel im Palast des Präsidenten Michail Saakaschwili, dort in der Altstadt die herrschaftliche Glasburg seines Herausforderers Bidsina Iwanischwili.

Der Fluss trennt die Kontrahenten. Ihre ausgeprägte und ausgelebte Feindschaft hat auch die georgische Gesellschaft gespalten. Die einen wollen endlich einen Wandel und den mitunter diktatorisch auftretenden Saakaschwili loswerden, die anderen halten an ihrem Status quo und ziehen mit der Freund-Feind-Rhetorik gegen den Milliardär Iwanischwili ins Feld. Heute wählen die Georgier ihr Parlament. Eine wegweisende Wahl, da das Land – wie in einer Verfassungsänderung beschlossen – in einem Jahr von der sowjetisch geprägten Präsidialrepublik zu einer parlamentarischen Demokratie werden soll.

Sakaaschwilli hat erstmals einen starken Gegner

Saakaschwili kann nach zwei Amtszeiten nicht mehr als Präsident antreten, er könnte aber Ministerpräsident werden, gestellt von seiner „Vereinigten Nationalen Bewegung“. Iwanischwili mag Politik nicht, wie er sagt. Er mag aber sein Land und will es mit einem regelrechten Mäzenatentum in ein kaukasisches Paradies aus Freiheit und Gerechtigkeit umbauen, eine „wahre Herrschaft des Volkes“ errichten, zusammen mit seiner Sechs-Parteien-Koalition „Georgischer Traum“. In „zwei, drei Jahren“ sei das zu schaffen, sagt der schmächtige Mann mit seiner leisen Stimme. Vielen gilt der „einfache Junge aus dem Dorf“ als Erlösung aus den unterdrückten Saakaschwili-Jahren, als neuer Messias.

Saakaschwili hat fast neun Jahre nach der friedlichen „Rosenrevolution“ und den Reformen, die auch seine Gegner ihm zugutehalten, vieles an Vertrauen verspielt. Nach und nach hat sich „Mischa“, wie ihn viele Georgier nennen, in einen autoritären Herrscher verwandelt, die Medienfreiheit ist eingeschränkt, Kritik wird kaum geduldet, die Bürger werden unter Druck gesetzt. Die Wirtschaft liegt darnieder, viele Georgier ziehen ins Ausland, große Bevölkerungsschichten leben in Armut, Rentner verdienen rund 120 Lari, das sind nicht einmal 60 Euro. Russlands Embargo gegen georgische Agrarprodukte reißt zusätzlich Löcher in die Haushalte der Menschen.

Der Folterskandal hat die Georgier schockiert

Die Alternative kroch unerwartet vor einem Jahr aus ihrer milden Stille hervor, und die Opposition erwachte aus ihrem Koma. Der Multimilliardär Iwanischwili machte sein Geld – das US-Wirtschaftsmagazin schätzt es auf 6,4 Milliarden Dollar, was reichen würde, den georgischen Staatshaushalt eineinhalb Jahre nur aus seinem Privatvermögen zu bestreiten – im Russland der Wilden 90er Jahre, was ihm jetzt zum Verhängnis wird. Zumindest schlachtet er die Präsidentenriege geradezu aus, um ihn als der Kopf einer kriminellen Bande darzustellen.

Iwanischwili benutzt seinerseits den gleichen Begriff für das Saakaschwili-Lager, auch gestern bei der Demonstration, zu der zwischen 200.000 (so die Angaben unabhängiger Beobachter) und 600.000 Menschen (nach Angaben der Opposition) nach Tbilissi kamen. Der Folterskandal um geschlagene und vergewaltigte Häftlinge in einem Gefängnis von Tbilissi sei der beste Beweis dafür, sagt er und ruft „Es lebe Georgien“ in die Menge.

Macht gegen Geld

Es ist ein Kampf der Giganten: Macht gegen Geld. „Anders geht es bei uns leider nicht“, sagt der Politologe Gija Chuchaschwili. Der hagere Mann, der eine Zigarette nach der anderen raucht, stand einst auf der Seite Saakaschwilis, war sein Wirtschaftsberater. Er hat an die Dynamik der neuen Regierung geglaubt. Doch die „Rosenrevolution“ bezeichnet er heute als „romantische Periode“, die Macht liege jetzt wieder einmal in den Händen eines Einzelnen, das Volk sei erneut enttäuscht worden. „Das sowjetische System der Macht ist stabiler als wir zunächst gedacht hatten, und Georgien ist eine Geisel dieses Systems“, sagt der promovierte Mathematiker. Mit Iwanischwili sei es möglich, ein neues Wertesystem aufzubauen.

„Die Gesellschaft muss lernen, ihre Regierung zu kontrollieren. Die Menschen sollen keinen Chef mehr wählen, sondern viele Diener.“ Im vierten Stock der Parteizentrale von „Georgischer Traum“ hat er sein Büro, einem renovierten Bau in der Altstadt, dessen Wände Fotos mit dem größten Träumer des Landes zeigen. Iwanischwili umarmt ein Mütterchen in den Bergen, Iwanischwili umringt von Kindern, Iwanischwilli vor einer Fabrik. „Wir müssen“, so sagt es der Politologe, der seine Tätigkeit am Institut für die Entwicklung Georgiens für die Wahlkampfzeit hat ruhen lassen, „die sadistische Regierung stoppen und die Demokratie-Fassade zu einer echten Demokratie verändern.

Von Fassaden will David Dartschiaschwili dagegen nichts hören. „Dass die Umfragen Iwanischwilis Koalition zu teils 70 Prozent vorne sehen, ist Blödsinn. Die Ergebnisse hat er bezahlt.“ Der Historiker ist Mitglied der „Vereinigten Nationalen Bewegung“ und Abgeordneter im Parlament. Er ist sicher, wiedergewählt zu werden. „Die Menschen sehen, dass wir nicht nur reden, sondern auch tun. Georgien ist im 21. Jahrhundert angekommen, es herrscht wieder Ordnung in unserem Land.“ Nun müsse die Regierung das Land vor Kriminellen schützen.

Iwanischwilli renovierte Schulen und das Nationalmuseum

Zuvor hatte das einstige Phantom Iwanischwilil mit seinen Millionen die georgische Polizei mit Autos und Stiefeln ausgestattet, er hat mehr als 400 Schulen und 450 Kirchen renoviert, auch das Opernhaus, die Philharmonie und das Nationalmuseum, den Landwirten Perspektiven aufgezeigt und Künstlern mit Stipendien geholfen. Mehr als eine Milliarde Euro in 20 Jahren für den georgischen Staat. Da hat der „kriminelle Abschaum“ und sein „höchst suspektes Geld“ wohl nicht gestört. „Wir haben Fehler gemacht“, meint Dartschiaschwili. Auch in „dieser Sache rund um die Gefängnisse“.

25.000 Menschen sind in Georgien inhaftiert, Menschenrechtler berichten von überfüllten Zellen, die für sechs Häftlinge ausgelegt, aber mit 25 belegt werden. Geschlafen werde abwechselnd nach einem teils von Hierarchien unter den Gefangenen festgelegten Plan. Schläge seien keine Ausnahme, sondern die Norm. Selbst die Regierungspartei bestreitet das mittlerweile nicht mehr. „Nur das Ausmaß war uns nicht bekannt“, sagt der Abgeordnete Dartschiaschwili. Laut einem Bericht des Anti-Folter-Komitees des Europarats von 2010 hat Georgien eines der höchsten Inhaftierungsraten der Welt.

Einige träumen von der Revolution

Während der internationale Durchschnitt bei etwa 150 Häftlingen auf 100.000 Einwohner liegt, sind es in der Südkaukasus-Republik 500. „Wir haben Fehler gemacht“, wiederholt Dartschiaschwili, „aber wir stehen zu dieser Schuld und übernehmen die Verantwortung.“ Das mache die Partei zu wahren Demokraten, das Volk wisse das zu schätzen.

Das Volk aber geht auf die Straße, gegen den „Sadismus des Präsidenten“, wie es die 28-jährige Meri Mdinaradse auf dem Freiheitsplatz in Tbilissi sagt. Sie werde für Iwanischwilis Koalition stimmen, „wie die Mehrheit der Georgier“. Davon ist sie überzeugt. Wie auch davon, dass es Manipulationen aus dem Lager Saakaschwilis geben werde.

Der Abgeordnete Dartschiaschwili meint: „Die Träumer versuchen, eine Revolution anzuzetteln. Unsere Polizei aber wird dagegen vorgehen.“Paata, der Wachmann, schaut auf den Park, den Fluss und die Berge – sein Land, für das er mehrmals mit Gewehr im Arm in den Kampf gezogen war. „Hoffentlich bleibt es ruhig. Wie es im Krieg ist, weiß ich zu Genüge.“


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