Tschechien

Das Schnapsverbot macht erfinderisch

Selbst um Mitternacht bekommt er Anrufe, ob noch geöffnet sei. „Wir kommen kaum zum Arbeiten“, sagt Jindrich Cerny, Eigentümer einer Schnapsbrennerei im mittelböhmischen Hrimedzdice sechzig Kilometer südlich von Prag. Mitte September fängt zwar ohnehin die Obsternte und damit die Hochsaison an. Doch in diesem Jahr ist das Interesse enorm: Schon zwei Stunden, bevor der Schnapsbrenner öffnet, warten Ungeduldige mit vollen Obstkörben vor seinem Tor.

Das Ein-Mann-Unternehmen in dem weißen Gartenhäuschen, in dem es süßlich nach gärendem Obst riecht, ist einer der wenigen Orte in Tschechien, wo Menschen in diesen Tagen noch Hochprozentigen bekommen. Vor einer Woche rief die tschechische Regierung ein Verbot für Spirituosen mit mehr als 20 Prozent Alkohol aus. Grund war eine tragische Todesserie: 23 Personen waren an gepanschtem Alkohol gestorben, 40 weitere in Krankenhäuser eingeliefert worden. Einige von ihnen sind mittlerweile erblindet.

Not macht erfinderisch

Restaurants, Kneipen und Supermärkte mussten Spirituosen aus dem Angebot nehmen. Viele Wirte in der Prager Altstadt und in anderen Städten haben aus der Not eine Tugend gemacht und mixen mittlerweile Cocktails aus Eierlikör, Bier und Cinzano – also aus erlaubten Getränken mit weniger als 20 Prozent Alkohol.

Wer sich trotzdem mit Hochprozentigem eindecken will, geht zur Schnapsbrennerei. Das private Brennen ist weiter erlaubt, weil der Alkohol erst bei der Gärung des Obstes entsteht und nicht hinzugefügt werden muss. „Normalerweise kommen meine Kunden aus einem Umkreis von 30 Kilometern“, freut sich Jindrich Cerny. „Jetzt rufen sie sogar aus der Hauptstadt an.“

Im ersten Stock der häuslichen Schnapsbrennerei stehen riesige Eisenbehälter mit Äpfeln, Birnen und Pflaumen, vor dem silbernen Brennkessel die Fässer. Heute brennt Cerny seinen Lieblingsschnaps, einen Pflaumen-Sliwowitz. Seit zwölf Jahren stellt der ausgebildete Maschinentechniker und ehemalige Handelsvertreter für Limonade nun schon Obstler her. In seinem Garten gab es immer viel zu viel Obst, das langsam verfaulte. So kam Cerny auf die Idee, in einer Gartenecke eine improvisierte Obstpresse zu bauen. Für die Kinder gab es Apfelsaft, für die Erwachsenen Schnaps.

Vor dem Häuschen stehen Körbe voll mit Äpfeln, daneben Siebe, Thermometer und leere Behälter. Wer sein Obst heute bringt, kann sich den Obstler frühestens in drei Monaten abholen. „Das Obst wird zu einer sogenannten Maische zermahlen und muss dann gären. Das eigentliche Brennen dauert etwa drei Stunden“, erklärt Cerny. Für einen Liter 50-prozentigen Schnaps benötigt er 16 Kilogramm Obst. Fünf Euro nimmt er pro Flasche.

„Irgendwann wird auch unser Alkoholvorrat leer sein. Hausgemacht ist besser und sicherer als gekauft“, sagen zwei dreißigjährige Männer aus dem Nachbarsdorf, die noch vor den Öffnungszeiten bei Cerny klingeln. Seine Kunden vertrauen Cerny. Die tragischen Alkoholvergiftungen seien die Folge davon, dass man alles immer noch billiger herstellen wolle, sagt der 56-Jährige.

Alkohol-Mafia im Spiel?

Noch ist unklar, wann man in einer tschechischen Kneipe wieder einen Schnaps bestellen darf. Trotz des Verbots werden täglich weitere Personen mit Methanol-Vergiftung ins Krankenhaus eingeliefert. Die Polizei vermutet, dass die Alkohol-Mafia im Spiel ist. Täglich spüren die Beamten in privaten Garagen oder Kellerräumen neue Abfüllungsräume mit jeweils Tausenden Litern Alkohol unbekannter Herkunft auf, sowie stapelweise gefälschte Etiketten und Steuermarken. 39 Personen sind mittlerweile angeklagt. Ein Verdächtigter beging Selbstmord. Der gefährliche Stoff könne auch von Frostflüssigkeit für Scheibenwischer stammen, heißt es.

Weil viele Tschechen bei einer Hochzeit oder einem anderen Fest einmal mit gutem Gefühl wieder anstoßen würden, rennen sie Cerny die Türen ein. Trotzdem bleibt der Schnapsbrenner nüchtern: „Ich glaube nicht, dass das langfristig so bleibt. Auch wenn die Leute Angst haben, harten Alkohol zu trinken, werden sie wieder damit anfangen, sobald das Verbot aufgehoben wird.“

Die tschechische Regierung will die Vorschriften verschärfen und eine Herkunftsgarantie auf jeder Flasche zur Pflicht machen. Fachleute bezweifeln allerdings, ob damit das Problem gelöst wird. Der Schwarzmarkt für Spirituosen macht in Tschechien 25 bis 30 Prozent aus, in Europa nur zehn Prozent. Das ist das Hauptproblem“, sagt Anthony Schofield, Generaldirektor des Karlsbader Kräuterschnapsherstellers Becherovka.


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