Keine Wahl
Katharina Statkewitsch findet „alles völlig verrückt“. Ihr Vater Nikolai ist seit zwei Jahren in einem belarussischen Straflager inhaftiert, weil er es Ende 2010 gewagt hatte, in einer Wahl gegen Alexander Lukaschenko anzutreten. Die anschließenden Proteste gegen den diktatorisch regierenden Präsidenten schlug die Polizei damals brutal nieder. Lukaschenko ließ Dutzende Oppositionelle wegsperren. 14 Regimegegner sitzen noch immer im Gefängnis.
Am Sonntag wird in Belarus wieder gewählt, diesmal das Parlament. Der inhaftierte Sozialdemokrat Statkewitsch wird nicht dabei sein. „Sie haben ihn zu einem ehemaligen Kommandeur der Geheimpolizei in die Zelle gesteckt, der im Verdacht steht, einen Oppositionspolitiker ermordet zu haben“, berichtet Tochter Katharina über die „andauernden Schikanen“. Sie selbst ist längst in den Westen geflüchtet.
Es wird keine Proteste wie 2010 geben
Iryna Vidanava ist dagegen nach einer Zeit in Polen in die belarussische Hauptstadt Minsk zurückgekehrt. „Wenn jemand etwas verändern kann, dann sind es die Jüngeren“, sagt die 33-Jährige, die das regimekritische Online-Jugendportal „34mag.net“ leitet. Illusionen über den bevorstehenden Wahlsonntag macht sie sich jedoch nicht. „Es wird keine Proteste wie 2010 geben. Die Opposition ist zerstritten. Und die Menschen im Land glauben ohnehin nicht, dass diese Wahl etwas mit ihnen zu tun hat“, erklärt Vidanava. Unabhängige Umfragen bestätigen sie: Drei Viertel der Belarussen sehnen sich nach Wandel. Doch nur ein Drittel glaubt, dass die Abstimmung am Sonntag fair und frei sein wird.
Opposition ruft zum Boykott auf
Auch die offiziellen Zahlen belegen indirekt, dass Lukaschenko seinen Bürgern keine echte Wahl lässt. Das Regime hat 364 Kandidaten für die 110 Sitze des sogenannten Repräsentantenhauses zugelassen. Mehr als 120 Bewerbern wurde die Teilnahme verweigert – oft mit fadenscheinigen Begründungen, wie die Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) urteilen. Größtenteils handelt es sich um regimekritische Politiker. Die meisten verbliebenen Kandidaten der Opposition haben inzwischen ihren Boykott erklärt. „Zu einer gemeinsamen Boykott-Kampagne haben sie sich aber auch nicht zusammengefunden“, bedauert Vidanova und kritisiert die „persönlichen Eitelkeiten“ der Lukaschenko-Gegner.
Protest regt sich im Internet
Im Schnitt bewerben sich nun zwei bis drei Politiker für jedes Mandat. Vieles spricht dafür, dass im neuen Parlament wie bisher alle Abgeordneten dem Lukaschenko-Lager zugeordnet sein werden. Echte Macht haben die Deputierten ohnehin nicht. Gerade einmal drei Gesetze haben die Parlamentarier in den vergangenen vier Jahren auf den Weg gebracht. Fast immer ging die Initiative von Lukaschenkos Apparat aus. „Es ist sinnlos, an diesen Wahlen teilzunehmen“, erklärt der Sozialdemokrat Stanislaw Schuschkewitsch. Der 78-Jährige war nach dem Zerfall der Sowjetunion Parlamentspräsident in Belarus. Heute sagt er: „Die Staatsmacht beherrscht alles.“
Fast alles. Protest regt sich im Internet. Seit Wochen machen in sozialen Netzwerken wie Facebook und dem russischsprachigen Vkontakte Online-Aktivisten gegen den Präsidenten mobil. „Stop Luka!“, lautet ihre Devise. Anfang September ließ Lukaschenko Dutzende Seitenbetreiber festnehmen, „um die Administratoren-Passwörter aus uns herauszuprügeln“, wie Betroffene anschließend berichteten. Genutzt hat es nichts. In immer neuen Foren verspottet die Internet-Opposition den Präsidenten und ruft virtuell zu seinem Sturz auf. Die reale Macht allerdings liegt weiter beim Präsidenten.