Schnapsverbot mit Nebenwirkungen
Die Gäste der Prager Kneipe „Pod lipami“, Unter den Linden, müssen warten. Statt sich um die Bestellungen zu kümmern, bastelt die Kellnerin hektisch Pappschilder und hängt sie an die Schnapsflaschen im Regal. „Prohibition“ steht darauf. In Tschechien gilt seit Freitagabend ein landesweites Verbot für Getränke mit 20 und mehr Prozent Alkohol - sowohl in Kneipen, Restaurants und Kiosken als auch in Supermärkten.
Das jüngste Opfer war erst 21 Jahre alt
„Die Gäste waren einverstanden, keiner hat bislang protestiert. Alle verstehen den Ernst der Lage“, sagt der Eigentümer des Lokals Martin Bašus. Auch er sieht ein, dass es momentan besser ist, auf Umsatz zu verzichten als möglicherweise giftigen Schnaps zu verkaufen. In diesen Tagen verfolgt er die Nachrichten aufmerksamer als sonst und telefoniert öfters mit den Angestellten in seinen insgesamt fünf Kneipen.
Das tschechische Gesundheitsministerium rief das Alkoholverbot am Freitag aus, nachdem landesweit bereits 20 Menschen an gepanschtem Alkohol gestorben waren. Das jüngste Opfer war eine 21-jährige Frau. Weitere 40 Menschen sind in Krankenhäuser eingeliefert worden. Einige von ihnen sind durch die Vergiftung erblindet. „Die Todesursache ist die Einnahme von Methanol“, so der tschechische Gesundheitsminister Leoš Heger.
Alkohol aus der Scheinwaschanlage
Die Polizei arbeitet auf Hochtouren, jeden Tag sind Hunderte Kontrolleure unterwegs, Tausende Lokale wurden unter die Lupe genommen. Über 20 vermeintliche Alkoholpantscher sitzen bereits in U-Haft. 20 Millionen Flaschen hochprozentigen Alkohols hat die Polizei bereits konfisziert. Und sie ist nach eigenen Angaben illegalen Herstellern und Distributionsnetzen auf der Spur. „Der Stoff könnte aus einer Scheibenwaschanlage in Polen kommen“, bestätigte heute Vize-Innenminister Jaroslav Hruška. Illegale Organisationen hätten angeblich aus dem Reinigungsmittel für Autoscheiben Spiritus gewonnen.
Trotzdem fehlt bislang eine heiße Spur. Und trotz des Alkoholverbots werden täglich weitere Opfer eingeliefert. Die Polizei geht davon aus, dass die Leute ihre Vorräte anzapfen. Die tschechische Alkoholindustrie klagt bereits über Verluste. „Wir verlieren Millionen Kronen“, sagte der Vorsitzende des Tschechischen Verbundes der Alkoholhersteller Pavel Kučera. Auch die Wirte werden mit jedem Tag, den das Verbot andauert, unwilliger. Die Ärzte dagegen kritisieren noch schlimmere Folgen der Prohibition. Potenzielle neue Giftmischungen seien zwar aus dem Verkehr gezogen. Dafür blühe nun aber der Schwarzmarkt, der nicht kontrollierbar sei:„Alkoholiker brauchen ihren Schnaps, deshalb beziehen sie ihren Stoff nun illegal“, sagt Petr Popov, Chefarzt einer Prager Suchtklinik.
Der Schwarzmarkt blüht bereits
Auch Touristen können sich nicht wie gewohnt am Flughafen oder an der Grenze mit tschechischem Schnaps eindecken. Auch in den Duty-Free-Shops sind die Alkoholregale mit einer schwarzen undurchsichtigen Folie verklebt. „Auch wenn in unserer Region keine Personen vergiftet wurden, gilt das Verbot auch für uns“, sagt Šárka Adamová vom Travel Free Shop am sächsisch-böhmischen Grenzort Zinnwald. Auch bei ihr waren bereits Kontrolleure, die prüften, ob sie sich an das Verbot hält. Dabei ist sich Adamová über die Qualität ihrer Schnäpse sicher. „Wir kaufen nur hochwertigen Alkohol direkt vom Hersteller, es kann also nicht sein, dass man bei uns gepanschten Alkohol in dubiösen Literflaschen findet.“
Wenn der erste Schock erst vorüber sei, würden die Leute genauso billigen Alkohol von unbekannten Herstellern trinken wie vorher, vermutet Chefarzt Popov. Bislang sei der Staat viel zu lax vorgegangen, es habe kaum Kontrollen gegeben. Nach Schätzungen des Verbundes der Alkoholhersteller machen gepanschte Spirituosen bis zu 25 Prozent des Marktes aus.
Auch in der Slowakei erste Opfer
Mit hartem Alkohol macht der Prager Kneipier Martin Bašus etwa zehn Prozent seines Umsatzes. Er hofft, dass das Alkoholverbot bald aufgehoben wird. „Der Ruf des tschechischen Sliwowitzes leidet auf jeden Fall“, sagt er. Er befürchtet, dass seine Gäste künftig zögern, bevor sie einen Schnaps bestellen. Einige Wirte und Hersteller wollen beim Gesundheitsministerium Antrag auf Schadenersatz stellen. Laut dem Ministerium könnte das Verbot mehrere Wochen andauern.
Auch in der benachbarten Slowakei gibt es die ersten Alkohol-Opfer. Vier Personen kamen ins Krankenhaus, nachdem sie bei einem Familienfest Sliwowitz getrunken hatten, den sie vorher per Internet aus Tschechien bestellt hatten. Der Verkäufer aus Südmähren versprach ihnen einen hausgemachten 50-prozentigen Schnaps. Per Post kam eine Plastikflasche ohne Aufkleber und Beschriftung. Der Verkäufer sitzt bereits in Untersuchungshaft, die Polizei hat seine Kunden kontaktiert. Ein Einfuhrverbot für Alkohol aus Tschechien oder ein generelles Schnapsverbot ist in der Slowakei bislang nicht geplant.