"Der Weg nach Europa ging über Deutschland"
Janusz Reiter, geboren 1952, war von 1990 bis 1995 Botschafter Polens in Deutschland und von 2005 bis 2007 als Botschafter in den USA. Der Germanist arbeitete während des Kommunismus als Journalist und beteiligte sich an der Opposition. Heute berät er die polnische Regierung in Klimafragen.
ostpol: Am 14. September jährt sich die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der damaligen BRD und Polen zum 40. Mal. Sie waren 1972 Germanistik-Student in Warschau. Wie haben Sie damals das Ereignis empfunden?
Janusz Reiter: Ich interessierte mich viel mehr für die deutsche Literatur als für Politik. Ich kann mich aber erinnern, dass sich bei mir, wie sicher bei vielen Polen, die Hoffnung regte, dass sich Polen öffnet. Für uns ging der Weg nach Europa schon immer über Deutschland. So ist es auch teilweise passiert. Man erlaubte damals den ersten Austausch von Jugendlichen und Wissenschaftlern. Diese ersten Treffen und Kontakte waren bewegend. Fünf Jahre später bin ich zum ersten Mal nach Deutschland gefahren, in den Folgejahren durften viele Polen auch nach Schweden und in die Österreich. Aber der Weg nach Europa blieb mit Deutschland verbunden.
Warum wird der Jahrestag in Polen heute so wenig wahrgenommen?
Reiter: In Polen vergisst man oft, was vor 1989 passiert ist. Wenn man in Polen an die deutsch-polnischen Beziehungen denkt, dann vor allem an das symbolische Treffen von Mazowiecki und Kohl in Krzyzowa/Kreisau im Jahr 1989. Dieses Jahr gilt als Zäsur in der polnischen Nachkriegsgeschichte. Bis dahin hatte Polen eine undemokratische Regierung und die Gesellschaft keinen Einfluss auf die Politik. Es war vor allem eine schwarze Zeit. Ungerechterweise wird dabei oft vergessen, dass es auch Gutes in dieser Periode gab. Dazu gehörte auch die Normalisierung der deutsch-polnische Beziehungen. In Deutschland dagegen, zumindest in Westdeutschland, betrachtet man die Geschichte nach 1945 kontinuierlicher, auch die diplomatischen Entwicklungen zwischen Deutschland und Polen.
Immerhin erinnerten polnische Medien an den Besuch von Willy Brandt in Polen. Sein Kniefall in Warschau im Jahr 1970 ist ein Symbol für den Umbruch.
Reiter: Ja, das Bild hat etwas sehr menschliches an sich. Damals unterschrieb Brandt auch den Warschauer Vertrag, der die Aufnahme der deutsch-polnischen diplomatischen Beziehungen einleitete. Doch dieses Bild verankerte sich in den Köpfen erst später als Symbol der Versöhnung. Der Vertrag über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen war dagegen ein gewöhnlicher politischer Schritt, der nicht viel über die wirkliche Qualität der Beziehungen aussagte – obwohl die Folgen des Vertrags langfristig wichtig waren.
Haben sich die Hoffnungen verwirklicht, die durch Brandts Besuch und den Vertrag im Jahre 1972 geweckt wurden?
Reiter: Viele Dinge, die danach passiert sind, hätte damals niemand zu hoffen gewagt. Die Beziehungen, die wir jetzt haben, waren für damalige Zeiten einfach unrealistisch. Niemand hätte wohl gedacht, dass der Kalte Krieg zu Ende sein wird und dass wir Verbündete werden. Der erste Schritt wurde aber damals gemacht: Weil wir reisen durften, konnten Polen und Deutsche sich kennenlernen – wie sie tatsächlich waren. Es ging damals in den deutsch-polnischen Beziehungen nicht nur um den Kalten Krieg und West-Ost Teilung. Es war mehr. Es war eine Kluft zwischen beiden Gesellschaften, verursacht durch die Vorgeschichte, Unrecht, Stereotypen, nationale Antagonismen. Der Prozess, sie zu überwinden, dauerte lange. Dich heute sind die politischen Beziehungen so gut wie nie zuvor.