Souveränität mit Abstrichen für Kosovo
Anfang September knallten in Prishtina die Sektkorken. Und es wurden Fahnen gehisst: die neue mit den Umrissen des jungen Staates in Gelb auf blauem Grund und die albanische rote mit dem schwarzen Doppelkopfadler. Das Internationale Zivilbüro (ICO) schließt seine Tore und verlässt das Land. Denn der Kosovo ist nun völkerrechtlich souverän – über vier Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung.
Von Demokratie kann kaum die Rede sein
Der Internationale Steuerungsrat, eine Art Aufsichtsgremium über den Kosovo aus 25 Regierungen, hat dies am 2. Juli auf seinem Treffen in Wien entschieden. Der Chef des ICO, der Niederländer Pieter Feith, erklärte damals, der Kosovo sei nun eine moderne, multi-ethnische Demokratie. Neue Gemeinden mit serbischer Bevölkerungsmehrheit seien geschaffen worden, und der Schutz serbischer Kulturgüter sei gesetzlich festgehalten. Damit sei auch der so genannte Ahtisaari-Plan „substanziell umgesetzt“, der die schrittweise Entwicklung Kosovos von der einstigen serbischen Provinz zum eigenen Staat regelte.
Doch tatsächlich kann von funktionierender Demokratie kaum die Rede sein, von multi-ethnischer schon gar nicht. Das ICO war im Frühjahr 2008 eingerichtet worden, als die Kosovaren sich für unabhängig erklärt hatten. Es hatte die Aufgabe, die Umsetzung des Ahtisaari-Plans zu überwachen und dafür das Recht, Gesetze zu annullieren und Politiker zu entlassen. Tatsächlich hatte es diese Kompetenz nie genutzt – zum Ärger unabhängiger kosovarischer Beobachter: „Das Büro hätte die Vollmachten in einigen Fällen anwenden sollen, hat es aber nicht getan“, kritisiert Agron Demi, Direktor des Thinktanks GAP in Prishtina.
Die Probleme sind allein kaum zu bewältigen
Begründet habe das ICO seine Untätigkeit damit, dass es nicht in die Angelegenheiten der kosovarischen Politik eingreifen wolle. Das wiederum sei angesichts der Vielzahl von Vorwürfen gegen kosovarische Politiker wegen Korruption und Wahlfälschungen ein schwerer Fehler gewesen, so Demi.
Ob der Abschied der internationalen Aufseher nun allerdings ein Grund zum Feiern ist, ist zweifelhaft. Denn erstens ist der Abschied kein wirklicher und zweitens sind die Probleme des Landes für die kosovarischen Politiker kaum zu bewältigen. „Zum Feiern besteht angesichts der Probleme kein Grund“, sagt Ilir Deda, Chef des Forschungsinstituts KIPRED in Prishtina. „Der Kosovo hat noch immer grundlegende demokratische Defizite.“ Für Deda kommt die Schließung des Büros der internationalen Aufseher viel zu früh. „Laut dem Geist des Ahtisaari-Plans sollte die internationale Aufsicht beendet werden, wenn die lokalen Institutionen in der Lage sind, Verantwortung zu übernehmen“, sagte Deda. Das allerdings sei mitnichten der Fall.
Ausländische Berater bleibem im Land
Tatsächlich geschieht der Rückzug des Gremiums nun in einer anderen Reihenfolge als ursprünglich vorgesehen. Das ICO sollte eigentlich erst geschlossen werden, wenn alle Bereiche der kosovarischen Verwaltung und Justiz nicht mehr auf internationale Unterstützung angewiesen sind. Informell wird der Kosovo aber nun weiterhin unter internationaler Kontrolle bleiben: So werden in den Schlüsselinstitutionen des Staates weiterhin ausländische Berater sitzen, etwa im Verfassungsgericht und in anderen höheren Gerichten, im Rechnungshof und in der Privatisierungsagentur. Formell handelt es sich bei diesen Experten um Berater. De facto geht ihr Einfluss aber weit darüber hinaus.
Hinzu kommt, dass andere wichtige internationale Organisationen bis mindestens 2014 im Kosovo bleiben. „Die Schließung des ICO bedeutet, dass Prishtina die einzige internationale Behörde verliert, die die Unabhängigkeit unterstützt hat“, sagt Deda. Sie hätte eigentlich die letzte sein sollen, die schließt. „So wird der Kosovo nun mit UNMIK, KFOR und EULEX alleine gelassen – und damit eben denjenigen Organisationen, die auf der Basis der Resolution 1244 arbeiten und damit die Existenz des neuen Staates negieren.“ Die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates aus dem Jahr 1999 erklärte den Kosovo noch völkerrechtlich als Teil Serbiens. Entsprechend verhasst sind im Kosovo vor allem die Spezial-Behörden UNMIK, die Interimsverwaltung der Vereinten Nationen, sowie EULEX, die mit von der EU entsandten Polizisten und Beamten den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen unterstützt.
Im Herbst startet der Dialog mit Belgrad
Diese Institutionen dürften das Land erst dann verlassen, wenn die Resolution 1244 revidiert wird, und das hängt auch von Russland ab. Russland wiederum war bislang immer treuer Verbündeter Serbiens, das die Unabhängigkeit des Kosovo noch immer strikt ablehnt. „Mit der Schließung des ICO wird sich im Kosovo nichts Wesentliches verändern, sagt denn auch GAP-Analyst Agron Demi. Vor allem seien die großen Demokratiedefizite des Kosovo nicht gelöst.
Die kosovarische Regierung steht nun vor gewaltigen, schier unlösbaren Aufgaben: funktionierende demokratische Strukturen zu schaffen, wirtschaftliche Entwicklung in Gang zu bringen und die hohe Arbeitslosigkeit zu senken. Nicht zu vergessen der politisch heikle Dialog mit Belgrad, der in diesem Herbst mit EU-Hilfe beginnen soll.