Ungarn

Ein Mörder für drei Milliarden Euro

Die Sommerpause war kurz. Kaum kehrte der rechtspopulistische Ministerpräsident Viktor Orban nach Budapest zurück, sah er sich mit Protesten konfrontiert. Aktivisten warfen ihm in den vergangenen Wochen vor, antisemitische Angriffe und Provokationen der Rechtsextremisten von Jobbik zu tolerieren.

Jetzt sorgt ein diplomatischer Eklat für Zündstoff: Orban soll im Gegenzug für den lukrativen Verkauf von ungarischen Staatsanleihen an Aserbaidschan einen Mörder nach Baku ausgeliefert haben, um die klamme Staatskasse aufzubessern. Die Opposition rief unter dem Motto „Schäm dich, Orban“ am Dienstag zu Demonstrationen auf.

Er erschlug seinen Zimmerkameraden im Schlaf

Die Vorgeschichte des Eklats liegt schon einige Jahre zurück. Der 28-jährige armenische Offizier Gurgen Margarjan nahm im Sommer 2004 in Budapest an einem zweimonatigen Trainingsprogramm der NATO teil. Eine fatale Entscheidung: Er wurde nachts im Schlaf von seinem aserbaidschanischer Zimmergenossen Ramil Safarow mit einer Axt enthauptet. Der Mord erschütterte damals die Öffentlichkeit sowohl in Armenien als auch in Ungarn. Safarow gestand die Tat, das einzige Motiv sei die Nationalität des Offiziers gewesen. Beide Länder streiten seit über 20 Jahren um die kaukasische Region Bergkarabach. Der Konflikt belastet bis heute deren Beziehungen.

Der Mörder wurde 2006 von einem ungarischen Gericht zu lebenslanger Haft verurteilt und saß bis Ende vergangener Woche im Gefängnis. Nun kam plötzlich die Nachricht, dass er sofort nach Baku fliegen dürfe. In Aserbaidschan ist Safarow für viele ein Held. Unmittelbar nach der Auslieferung wurde er von Staatspräsident Ilham Alijew zum Major befördert. Dutzende aserbaidschanische Nationalisten empfingen ihn auf dem Flughafen mit Blumen und Flaggen.

Auslieferung gegen Staatsanleihen?

Armenien kündigte daraufhin am vorigen Wochenende den Abbruch sämtlicher diplomatischen Beziehungen zu Ungarn an. Präsident Sersch Sargsjan zeigte sich empört über das Vorgehen der ungarischen Regierung: „Die armenische Nation wird dieses Vorgehen Ungarn niemals vergeben.“ Erst vor wenigen Tagen habe ihm das Budapester Außenministerium versichert, dass die Auslieferung des Mörders nach Aserbaidschan ausgeschlossen sei.

Tatsächlich hatten die Behörden in Baku seit der Verurteilung Safarows mehrmals versucht, Budapest zu einer Auslieferung zu bewegen. Bis vor ungefähr einem Jahr aber zeigten sich die Ungarn wenig kooperationsbereit. Doch dann soll es nach Auffassung von armenischen Nachrichtenagenturen, aber auch der ungarischen Opposition, aus finanziellen Gründen einen Wendepunkt gegeben haben. Angesichts leerer Staatskassen und der Rezession braucht die Regierung dringend Geld.

Die Opposition protestiert gegen den „Gauner-Ministerpräsidenten"

Weil Premier Orban nach wie vor einen Konfrontationskurs in der Wirtschaftspolitik fährt, treten die Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) seit Monaten auf der Stelle. Orban muss also Geldquellen jenseits von Ungarns traditionellen EU- und US-Partnern anzapfen. Er besuchte Baku Ende Juni, sein Kabinettsekretär für Auswärtiges folgte ihm einen Monat später.

Am Sonntag erklärten sich die ungarischen Behörden „überrascht“ von der aserbaidschanischen Begnadigung. Nicht nur die Oppositionsparteien kritisierten die „unmoralische Geste“ der ungarischen Regierung, auch die Kirche schaltete sich ein. Kardinal Peter Erdö, katholischer Erzbischof von Budapest, Vorsitzender der ungarischen Bischofskonferenz und eher ein Anhänger von Orbans konservativer Politik, verurteilte den Schritt und zeigte sich solidarisch mit dem christlichen Armenien. Auch die Organisatoren der gestrigen Demonstration, ein Bündnis basisdemokratischer Bewegungen, entschuldigten sich gegenüber Armenien für das Verhalten ihres „Gauner-Ministerpräsidenten“.


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