Zurück in Amt ohne Würden
Das rumänische Verfassungsgericht stand an diesem Dienstag (21.8.) vor einer kaum zu lösenden Aufgabe: Es sollte mit einem Urteil eine der tiefsten politischen Krisen beenden, die das postkommunistische Rumänien durchmacht – einen seit nahezu zwei Monaten andauernden Machtkampf zwischen dem regierenden Parteienbündnis „Sozialliberale Union“ und dem Anfang Juli suspendierten Staatspräsidenten Traian Basescu.
Es war abzusehen, dass das nicht funktionieren konnte – der Machtkampf in Rumänien geht erst einmal weiter: Das Land hat nun auf der einen Seite einen Staatspräsidenten, der in sein Amt zurückkehren darf, und auf der anderen Seite eine Regierung, die das Verfassungsgericht ihres Landes in ungeheuerlicher Weise beschimpft und ihre Anhänger dazu aufruft, „solange gegen das Regime des Staatspräsidenten zu kämpfen, bis es eliminiert“ sei, wie sich der bisherige Interims-Staatschef Crin Antonescu ausdrückte.
Die Vorgeschichte: Nachdem der Staatspräsident Traian Basescu am 6. Juli vom Parlament suspendiert worden war, mussten die Wähler dies in einem Referendum am 29. Juli bestätigen. Bei der Abstimmung sprachen sich 87 Prozent für die Absetzung des Präsidenten aus, es erschienen jedoch nur 46 Prozent der Wahlberechtigten. Die erforderliche 50-Prozent-Beteiligung wurde nicht erreicht, das Referendum war damit ungültig. Doch die Regierung unter Ministerpräsident Victor Ponta bestritt dieses Ergebnis und verlangte, dass die Zahl der Wahlberechtigten neu berechnet werden müsse. Unter anderem sollten Millionen Auslandsrumänien aus der Wahlbeteiligung herausgerechnet werden.
Am Dienstag (21.8.) nun wies das Verfassungsgericht alle Argumente der Regierung zurück. Die neun Richter entschieden mit sechs zu drei Stimmen, dass das Referendum ungültig sei und Traian Basescu in sein Amt als Staatspräsident zurückkehren könne.
Es war zu erwarten, dass der Regierungsmehrheit dieses Urteil nicht gefallen würde. Weniger zu erwarten war die verbale Gewalttätigkeit, mit der die Regierenden das Urteil kommentierten: Der rumänische Interims-Staatschef Crin Antonescu und Rumäniens Ministerpräsident Victor Ponta erklärten zwar übereinstimmend, sie würden die Entscheidung des Verfassungsgerichtes respektieren, allerdings sei die Entscheidung „ungerecht“, „illegal“ und ignoriere den Volkswillen. Ponta beschimpfte die Verfassungsrichter als „ehrlos“, eine Verfassungsrichterin beschuldigte er persönlich, sie sei für die Rückkehr Basescus als Staatschef verantwortlich. Eine eindeutige Aussage über die weitere politische Zusammenarbeit mit Basescu lehnte Ponta ab.
Noch weiter ging der bisherige Interims-Staatschef Antonescu: Er rief die Bürger des Landes dazu auf, öffentlich gegen die Entscheidung des Verfassungsgerichtes zu protestieren – bis „das Regime Basescu eliminiert“ und „Rumänien befreit“ sei. Er stellte zugleich ein neues Amtsenthebungsverfahren gegen Traian Basescu in Aussicht.
Selbst viele Beobachter vor Ort waren von der Vehemenz der Reaktionen überrascht und schockiert. Derartiges komme in keinem zivilisierten europäischen Land vor, sagte etwa der Soziologe Iosif Boda. Verständlicher werden die Reaktionen im Kontext politischer Entwicklungen in Rumänien in den letzten Monaten und Jahren: Der Staatspräsident Basescu hat Reformen in der Justiz und bei der Korruptionsbekämpfung mitgetragen, und die zeigen langsam Wirkung: Ende Juni etwa musste der Ex-Regierungschef Adrian Nastase – der politische Ziehvater des derzeitigen Premiers Victor Ponta – wegen einer Parteispendenaffäre ins Gefängnis. Eine Reihe weiterer Politiker wurde verurteilt, gegen ein Dutzend Parlamentarier, Dutzende von Lokalpolitikern und viele Parteifunktionäre laufen Prozesse wegen Korruption. Kurz: Für viele Mitglieder der politischen Elite geht es um ihre Zukunft und ihre Existenz – im Übrigen auch für viele aus dem Lager des Staatspräsidenten Traian Basescu.
In der Liberaldemokratischen Partei (PDL), die dem Staatspräsidenten Traian Basescu nahesteht, wurde die Entscheidung des Verfassungsgerichtes als „Sieg des Rechtsstaates“ bewertet. Basescu selbst äußerte sich bis zum frühen Dienstagabend nicht zur Entscheidung des Verfassungsgerichtes.
Viele Kommentatoren rumänischer Medien wiesen darauf hin, Basescu müsse sich darüber im Klaren sein, dass beim Referendum immerhin siebeneinhalb Millionen Menschen für seine Absetzung gestimmt hätten – eine Anspielung auf den häufig aggressiven, polarisierenden Stil Basescus. Inwieweit er den bereit ist zu ändern, muss sich nun zeigen. Vor einigen Tagen immerhin hatte Basescu angekündigt, dass er eine konstruktive politische Zusammenarbeit mit der Regierung anstrebe. Rumänien müsse jetzt den „Mechanismus der Kohabitation erlernen“, sagte er.