Tschechien

Kirchen als neuer Klassenfeind

Zwei Hände sind auf einem Plakat dargestellt. Die eine schaut aus der Soutane eines kirchlichen Würdenträgers heraus, die andere aus dem blauen Anzug eines bürgerlichen Prager Regierungspolitikers. Letzterer reicht dem Geistlichen einen prall gefüllten Geldsack. Der Text dazu lautet: „134 Milliarden Kronen (5,2 Milliarden Euro) wollen ODS und TOP 09 (die beiden wichtigsten Regierungsparteien) der Kirche schenken.“ – Mit diesem Plakat, das seit Donnerstag landesweit in Tschechien auf großen Billboards zu sehen ist, machen die oppositionellen tschechischen Sozialdemokraten (CSSD) vor den anstehenden Regionalwahlen Front bei ihrem Lieblingsthema. Es geht um die Rückgabe des unter dem kommunistischen Regime den Kirchen und Religionsgemeinschaften des Landes geraubte Eigentum.

Die Sozialdemokraten sind im Verein mit den Kommunisten strikt gegen ein entsprechendes Gesetz, das gegen ihren erbitterten Widerstand bereits das Abgeordnetenhaus passiert hat und demnächst von der zweiten Kammer, dem Senat, begutachtet werden soll. Mit ihrer Kampagne setzt sich die herzlich unchristliche CSSD bewusst über das siebte Gebot Gottes hinweg, wonach man nicht stehlen soll. Das perfide an der Sache: Die Partei weiß sich mit einer großen Mehrheit in der tschechischen Bevölkerung in einem Boot sitzend. Tschechien ist (neben der früheren DDR) das säkularisierteste Land in ganz Europa und das Unrechtsbewusstsein vieler Tschechen gegenüber der Kirche tendiert gegen Null.

Das hat geschichtliche Gründe: Die einstige Macht namentlich der katholischen Kirche in den böhmischen Ländern ist an die Herrschaft der Habsburger geknüpft. Die 300 Jahre unter Wien gelten in der offiziellen tschechischen Geschichtsschreibung als die Zeit des „temno“ – der „Finsternis“.

So kann es nicht verwundern, dass Tschechien das letzte Land in Europa ist, in dem es bis heute zu keinem Ausgleich zwischen Staat und Kirche gekommen ist. Zwar gab es rasch nach der Revolution 1989 einen Parlamentsbeschluss, der die Regierung dazu verpflichtete, sich mit der Kirche über eine Rückgabe des Eigentums ins Benehmen zu setzen. Es bedurfte jedoch Jahrzehnte langer Verhandlungen, bis dabei ein vertretbarer Kompromiss heraus kam: Nach dem Willen der jetzigen Prager Mitte-Rechts-Regierung sollen die Kirchen und Religionsgemeinschaften für Enteignungen unter dem kommunistischen Regime mit umgerechnet 2,3 Milliarden Euro und Immobilien im Schätzwert von 2,9 Milliarden Euro entschädigt werden. Im Gegenzug will sich der Staat aus der Bezahlung der Priester zurückziehen; es käme endlich zu einer strikten Trennung von Kirche und Staat.

Für die Linke in Prag ist das ein viel zu hoher Preis. Doch allein das Wort vom „Geschenk“ an die Kirche ist aberwitzig. Es handelt sich um eine Rückgabe, kein Geschenk. Der Wortführer der CSSD in dieser Sache, Parteivize Lubomir Zaoralek, äußerte in seinem Blog die Sorge, dass „ohne einen Vertrag mit der tschechischen Öffentlichkeit ein riesiges Paket an Geld und Immobilien de facto in die Hände einiger schwer identifizierbarer Personen“ falle. Das erinnert fatal an die Zeit, als in Prag über die Rückgabe des Jüdischen Museums an die Jüdische Gemeinde gestritten wurde. Seinerzeit äußerten Politiker ernsthaft die Angst, dass die „Schacher-Juden“ den reichen Bestand des Museums kurzerhand zu Geld machen würden.

Doch die Jüdische Gemeinde ist beim jetzigen Gesetz nur eine Marginalie. Der neue „Klassenfeind“ – wie es empörte Kirchenvertreter ausdrückten – ist die katholische Kirche, die größte Glaubensgemeinschaft in Tschechien. Die hat sich unbeliebt gemacht, weil sie über viele Jahre vor Gericht mit der Präsidentenkanzlei über die Rückgabe des ebenfalls von den Kommunisten enteigneten Prager Veits-Doms stritt. Beide – Präsidialkanzlei und die größte tschechische Kathedrale – liegen in Nachbarschaft auf dem Hradschin über der Moldau.
Linke Propagandisten „massierten“ seinerzeit über lange Presseartikel die Bevölkerung, dass es nicht angehe, diesen „Schatz der ganzen Nation“ den Katholiken in den Rachen zu werfen. Der frühere Prager Kardinal Miloslav Vlk stand in seinem Kampf um die Rückgabe (eines Gotteshauses an die Kirche) immer wieder auf verlorenem Posten. Vlks Nachfolger, Dominik Duka, hat den Vorteil, privat mit Präsident Vaclav Klaus befreundet zu sein. Das schützt ihn in gewisser Weise.

Duka nutzte dies, um der CSSD heftig die Leviten zu lesen: Er verglich die Propaganda-Plakate der Linken gegen die Eigentumsrückgabe mit Plakaten aus der NS-Zeit und der Ära der kommunistischen Herrschaft in Prag. Dieses Vorgehen sei nicht nur „unkultiviert“, sondern im Grunde eine „Gefahr für die Demokratie“. Die CSSD appelliere an die niedrigsten Instinkte in der Bevölkerung – den Neid und den Hass auf die Christen.

Die Crux für die CSSD ist aber noch eine andere: Mit der Eigentumsrückgabe klären sich endlich viele bislang ungelöste Fragen über Bodenstücke in zahllosen Gemeinden. Die blockieren bislang den Ausbau der Infrastruktur und die Ansiedlung von dringend erforderlichen Investoren. Das fällt derzeit auch vielen sozialdemokratischen Bürgermeistern auf die Füße, die Hände ringend nach einer Lösung rufen. Aus deren Sicht ist der Widerstand der Parteiführung gegen die Kirchen-Restitution völlig kontraproduktiv.


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