Raoul Wallenberg rettete sein Leben
Wenn Miklos Ebner morgens das Jüdische Museum in Budapest betritt, setzt er sich seine Kippa auf. Auf der Straße trägt der 73-Jährige die jüdische Kopfbedeckung nicht, „ich will nicht religiöser erscheinen, als ich es tatsächlich bin“. Aber im Jüdischen Museum, zwischen all den Thora-Rollen und siebenarmigen Menora-Leuchtern, findet er die Kippa angemessen. Ebner, der seit seiner Pensionierung als Ehrenamtlicher im Museum arbeitet, führt oft führt Schulklassen aus Deutschland durch die Räume. Dann fragt er sie in seinem fast fehlerfreien Deutsch, woher sie kommen und freut sich über ihr Interesse für jüdische Kultur.
Dass Miklos Ebner heute noch lebt, hat er einem Schweden zu verdanken – dem Diplomaten Raoul Wallenberg. Am 4. August 2012 wäre der Schwede 100 Jahre alt geworden. Er kam während des Zweiten Weltkrieges im Auftrag Schwedens und des amerikanischen War Refugee Boards nach Budapest. Dort versuchte er, so viele Juden wie möglich durch die Verteilung von schwedischen Schutzpässen vor der Ermordung zu retten. Ein solches Stück Papier hat auch das Leben des damals fünfjährigen Miklos Ebner bewahrt. In einem Haus im sogenannten „internationalen Ghetto“ überlebte er den Zweiten Weltkrieg zusammen mit seiner Mutter, seinen Großeltern, einem Cousin und einem Onkel.
Auch andere Staaten retteten Leben
Wallenberg war damals nicht der einzige ausländische Diplomat in Budapest, der versuchte, den Juden durch die Verteilung von Schutzpässen zu helfen. Auch Vertreter anderer neutraler Staaten – des Vatikans, der Schweiz oder Portugals – wählten damals diese Strategie. Wallenberg ist jedoch der bekannteste von ihnen. Er war erst 32 Jahre alt, als er im Sommer 1944 in Budapest eintraf. Zu diesem Zeitpunkt hatten die deutschen Nationalsozialisten – unter tätiger Mithilfe der ungarischen Gendarmerie – bereits die meisten ungarischen Juden deportiert. In Auschwitz wurden mehr als 400.000 von ihnen ermordet. Aufgrund des internationalen Drucks stoppte der Reichsverweser Miklos Horthy jedoch die Deportationen, bevor die jüdische Gemeinde in Budapest – etwa 200.000 Menschen - an der Reihe gewesen wäre.
Als Wallenberg in der ungarischen Hauptstadt eintraf, hatte die schwedische Botschaft bereits mit der Verteilung der lebensrettenden Papiere an Budapester Juden begonnen. Theoretisch mussten diese dafür familiäre oder geschäftliche Beziehungen nach Schweden nachweisen können – Wallenberg legte diese Regel jedoch sehr großzügig aus. Unermüdlich organisierte er außerdem Lebensmittel und Medikamente für seine Schützlinge. Nach Schätzungen haben mehrere tausend ungarische Juden Wallenberg ihr Überleben zu verdanken – auch Miklos Ebners Familie.
Bis zu 50 Menschen in einer Schutzwohnung
Sein Großvater hatte die Papiere damals für die Familie besorgt. Ebners Vater konnte er nicht mehr retten: Dieser wurde als Zwangsarbeiter zusammen mit der zweiten ungarischen Armee an die sowjetische Front abkommandiert. Der Untergang der schlecht ausgerüsteten Armee an der Krümmung des Don kostete mehr als 100.000 ungarischen Soldaten das Leben. Doch nur wenige wissen, dass auch Tausende von jüdischen Zwangsarbeitern mit der Armee untergingen. Ebners Vater fiel in Kriegsgefangenschaft und starb dort vermutlich an Typhus. „Er war ein großer, sportlicher Mann, der gerne auf der Donau Kajak fuhr“, erzählt der 73-Jährige. „Das hat ihn nicht gerettet.“
Der Rest der Familie fand währenddessen Zuflucht in einem der mehr als dreißig „schwedischen Häuser“, die auf Geheiß Wallenbergs in der Budapester Innenstadt eingerichtet worden waren. In einer Wohnung mussten bis zu 50 Menschen unterkommen. „Auf dem Boden lagen die Matratzen dicht an dicht“, erinnert sich Ebner.
Im Oktober 1944 setzten die Deutschen den ungarischen Reichsverweser Miklos Horthy ab. Die Pfeilkreuzler – die ungarischen Nationalsozialisten – übernahmen daraufhin die Macht in Budapest. Das bedeutete Chaos und Gewalt. Auch die Bewohner der schwedischen Schutzhäuser waren jetzt vor Überfällen nicht mehr sicher. Mehrere hundert wurden von den Pfeilkreuzlern an den Ufer der Donau getrieben und erschossen. Miklos Ebner erinnert sich, wie er sich mit seiner Mutter einmal in der Speisekammer verstecken musste und unter der Tür die Stiefel seiner Verfolger sah. Gefunden haben sie ihn nicht.
Wallenbergs Schicksal liegt im Dunkeln
Am 18. Januar 1945 nahmen sowjetische Truppen Budapest ein. Für die jüdischen Überlebenden – auch für die Familie von Miklos Ebner - bedeutete das die Befreiung. „Es war mitten im Winter, so dass wir unsere wenigen Sachen mit einem Schlitten in unsere frühere Wohnung gezogen haben“, erinnert sich der 73-Jährige. Bald darauf ging er wieder in der Kindergarten. Der Frieden schmeckte für ihn nach dänischer Butter, „gelb und salzig“, die in Care-Paketen in Budapest eintraf. Raoul Wallenbergs Schicksal nach dem Ende des Krieges liegt hingegen im Dunkeln. Sicher scheint, dass er von den Sowjets im Januar 1945 nach Moskau verschleppt und vermutlich zwei Jahre später hingerichtet wurde. Die Sowjets verdächtigten ihn vermutlich, für die Amerikaner spioniert zu haben. Beweisen lässt sich das bis heute nicht – Wallenbergs mysteriöses Verschwinden hat zu seinem Mythos jedoch ebenso beigetragen wie die Tausenden von Menschen, die ihm sein Leben verdanken.