Bosnien-Herzegowina

Tito ist überall

Tito blickt ernst. Man sieht ihn auf Feuerzeugen, Duftbäumen und Wandkalendern. Zwei ältere Männer stehen vor einem Tisch auf der belebten Tito-Straße in Sarajevo. Sie verkaufen Erinnerungsstücke an eine Zeit, in der sie ihre besten Jahre verbracht haben. „Wir lieben Tito, Tito ist hier“, beteuert der eine und fasst sich an die linke Brust. Die meisten Andenken kosten umgerechnet zwischen einem und fünf Euro. Reich könne man damit nicht werden, aber sie würden nicht ans Aufhören denken, sagen die Männer. Bis abends stehen sie an der Straße und erzählen Touristen von ihrem Helden.

Josip Broz Tito, Staatschef auf Lebenszeit. Einer, der seinen eigenen sozialistischen Weg ging, der Stalin den Rücken gekehrt, mit dem Westen geliebäugelt und den Vielvölkerstaat Jugoslawien zusammengehalten hat. 1980 starb er im Alter von 87 Jahren. Seitdem wird die Erinnerung an Tito in den Staaten des ehemaligen Jugoslawien lebendig gehalten. Für die Älteren ist Tito ein Held. Für die Jüngeren ist er zum Idol geworden.

Straßen, Hostels und Cafés heißen nach Tito

„Ich sehe Jugoslawien überall, es ist ein kulturelles Element, das noch viele Generationen wie einen genetischen Code weitervererben werden“, sagt der Student Djordje. Er ist 1989 geboren, Tito kennt er nur aus Erzählungen. Es reiche, im Bus Sarajevo zu durchqueren, da höre man die Älteren sprechen: Früher sei es viel besser gewesen, ach, damals habe man wahrlich gelebt, es werde sich nie wiederholen. „Ich werde nicht müde, alten Menschen immer wieder dieselbe Frage zu stellen: War das Leben damals wirklich besser oder sind das alles Projektionen aus Eurer Jugend? Ich denke, für jeden ist das Leben schön, wenn er 20 Jahre alt ist“, sagt Djordje.

Tito ist überall. Die Hauptstraße in Sarajevo heißt nach Tito, es gibt ein Hostel „Tito 46“, ein Tito-Café, zwei Tito-Statuen: eine im Hof der Universität, eine andere im Hinterhof eines Museums. Die zweite sei das Original, das Tito selbst bereits in den 1950-er Jahren beauftragt haben soll, erzählt eine Museumsmitarbeiterin stolz.

Dajana, eine 25-jährige Menschenrechtsaktivistin, sieht die Tito-Nostalgie nüchterner. „Das Phänomen ist aus der Unzufriedenheit der Menschen mit ihrem jetzigen Leben entstanden. Die ältere Generation romantisiert die Vergangenheit, erinnert sich nur an das Schöne und vergisst dabei die negativen Aspekte des Lebens damals“, sagt Dajana. Die Jugend sauge das alles auf und hinterfrage nicht. Denn in Bosnien gibt es kaum Perspektiven.

Für die Jungen ist Tito ein Visionär

Gut 60 Prozent der Menschen im Alter von 25 bis 49 sind arbeitslos. Vor allem die Jugend trifft es hart. Die, die einen Job finden, bekommen ihr Gehalt oft mit Verspätungen, die meisten sind nicht einmal sozialversichert. „Die jungen Menschen sind orientierungslos und desinteressiert. Viele trinken, sind aggressiv und lenken sich mit Partys ab. Ab 12 Uhr sitzen sie schon im Café, nicht nur am Wochenende“, sagt Djordje enttäuscht. Anstatt die Zukunft in die eigenen Hände zu nehmen, blickten sie passiv und voller Sehnsucht auf die Zeit, über die ihre Eltern leidenschaftlich erzählen.

Auch der Student Djordje bereut es mitunter, nicht selbst zu Zeiten Titos gelebt zu haben: „Ich bekomme immer wieder die Antwort, dass dieses andere Land, dieses Jugoslawien, viel besser war, als das, was wir heute haben.“ Immerhin eint die Tito-Nostalgie die vielen Ethnien in Bosnien einmal im Jahr: Am Tag der Jugend am 25. Mai versammeln sich traditionell junge Menschen im Tito-Café in Sarajevo. Sie feiern den Staatsmann ungeachtet ihrer Religionen und Nationalitäten - ganz im Geiste Titos.


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