Sahara an der Ostsee
REISEINFORMATIONEN
Der Eingang zum Nationalpark befindet sich in Rabka ca. 2 Kilometer von Leba. Von hier kann man die 5 Kilometer bis zur Düne mit dem Leihfahrrad fahren. Eine Teilstrecke von Rabka aus kann man auch mit dem Schiff fahren.
Eintritt zum Nationalpark (in 2012): 6 Zloty, Ermäßigt 3 Zloty, Kinder bis 7 Jahren kostenlos.
Südlich
des Nationalparks, im Dorf Kluki, ist ein Freilichtmuseum zu sehen, das
die Kultur der Slowinzen zeigt, einem westkaschubischen Stamm, der bis
nach dem Krieg das Gebiet bewohnte.
DIE SLOWINZEN - EIN AUSGESTORBENER STAMM
Weil die Slowinzen evangelisch waren, wurden sie als Deutsche gesehen und nach dem Krieg zum großen Teil nach Deutschland umgesiedelt. Seit den 1970-er Jahren ist das Volk in der Gegend ausgestorben. Das Dorf wurde in seiner ursprünglichen Form erhalten. Bei Kluki befindet sich auch der Friedhof, auf dem die ehemaligen slowinzischen Einwohner ruhen. Im Museum kann man traditionelle regionale Gerichte probieren, u.a. Kartoffelbrot mit Schmalz und Gurke, slowinzische Sauermehlsuppe oder Hefewaffeln. Immer Anfang Mai wird im Museum eine „Schwarze Hochzeit“ organisiert – ein traditionelles Feiern der Slowinzen, die zu dieser Jahreszeit Torf förderten.
RELIKTE AUS DEM ZWEITEN WELTKRIEG
Auf dem Weg von Rabka bis zu Dünen befinden sich zudem Reste einer Raketenabschlussvorrichtung aus dem Zweiten Weltkrieg. Hier wurden die Raketenprototypen Rheintochter und Rheinbote erprobt. Nach dem Krieg nutzten russische Truppen das Gelände, später wurde es zur Wetterstation. Heute befindet sich hier ein kleines Museum mit Resten der Fundamente aus der Kriegszeit und regulären Führungen, sowie ein Aussichtsturm mit Blick auf die Dünen und die Ostsee.
Die Sonne prallt auf den schneeweißen Sand. Sandhügel wellen sich grenzenlos bis zum Horizont, steigen steil hoch und senken sich sanft ab. Die Füße sinken ein und stecken fest. Nur mühsam geht es bergauf, Schritt für Schritt. Der Wind verwischt augenblicklich alle Spuren und formt fantastische Wellen aus den Quarzkörnern. Hin und wieder setzen sich blasse Grasbüschel gegen den Sand durch. Die Luft flirrt, und fast könnten man den Sandgipfel, das Meer und die dunkelgrünen Wälder für eine Fatamorgana halten. Eine Möwe schreit. Diese Wüste liegt an der Ostsee, im Slowinski Nationalpark in Polen.
Die polnische Sahara ist zwar nur eine Kleinversion der afrikanischen Wüste, doch dafür ist sie täuschend echt. Schön öfter waren die Dünen Ersatz für die echte Wüste: Im Zweiten Weltkrieg übten hier die deutschen Truppen für ihren Einsatz in Afrika, in den sechziger Jahren drehte hier der Regisseur Jerzy Kawalerowicz seinen Monumentalfilm „Pharao“.
Die polnischen Wanderdünen sind das größte Wüstengebiet in Europa. Ähnliche Dünen gibt es sonst nur noch in Litauen an der Kurischen Nehrung und in Arcachon an der französischen Atlantikküste. 953 Hektar ziehen sie sich entlang der polnischen Ostseeküste. Die aktuell höchste ist Gora Lacka, die Lonzker Düne, je nach Jahreszeit bis zu 46 Meter hoch. Die anderen Wanderdünen sind durch Bepflanzung gestoppt worden. Auf ihre Oberfläche hat sich eine dünne Schicht Erde gelegt. Die schwarzen und grauen Dünen sehen aus wie gewöhnliche Hügel. Auf der 55 Meter hohen Czolpinska-Düne steht sogar ein Leuchtturm.
Das Dünengebiet zwischen den Städtchen Rowy und Leba ist seit 1969 Nationalpark. Wenige Jahre später wurde es von der UNESCO auf die Liste der Weltbiospherereservate gesetzt. Denn außer Wanderdünen gibt es hier auch Sümpfe, Torfgebiete und Seen, alles auf einer Fläche von fast 19.000 Hektar. Zwischen dem Meer und den Dünen befinden sich zwei Seen, Gardno und Lebsko, letzter ist der drittgrößte See Polens.
„Gestern stand hier noch ein Baum“ sagt ein Reiseführer zu den Touristen, und zeigt auf die Spitzen einer Kiefer, die aus dem Sand herausragen. Nur weniger Meter weiter, auf der anderer Seite des Fußweges, wächst noch ein quicklebendiger Kieferwald. Beharrlich rollen die Sandkörner immer weiter über den Weg und zwischen die Bäume. Die Touristen schauen etwas misstrauisch, als ob sie Angst hätten, dass auch ihr Weg in ein paar Stunden verschüttet sein könnte. Der Reiseführer lacht: „Das war ein Scherz. Die Kiefer stand hier noch im vergangenen Herbst.“
In Polen ranken sich viele Legenden um die phantastischen Dünen. So sollen die Menschen Stolem, einen bösen Riesen, verärgert haben, der in den pommerschen Wäldern an der Ostseeküste lebte. Aus Rache riss Stolem alle Bäume aus und erschuf auf diese Weise die Dünen, die die Menschen seither bedrohen. Das erzählten sich die Slowinzen, ein kaschubischer Stamm, der in der Nähe von Leba lebte. Wissenschaftler geben die Schuld den Menschen selbst, weil diese über Jahrhunderte hinweg die Wälder rodeten.
Seit 1.000 Jahren wandern die Dünen bei Leba. Die Sandmassen sind nicht zu stoppen. Bei einer Windgeschwindigkeit von fünf Meter pro Sekunde werden die Sandkörner vom Gipfel herunter auf die Gegenseite der Düne geweht. So wandern die Sandmassen weiter, sogar bis zu zehn Meter jährlich, am schnellsten im Herbst und Winter, wenn die Seestürme toben. Dann geben die Sandkörner ein seltsames Wehklagen und Brummen von sich.
Seit Jahrhunderten schluckt der wandernde Sand alles, was ihm im Weg steht: Wälder, Sümpfe und Seen, aber auch menschliche Siedlungen. Mehrere Dörfer der kaschubischen Slowinzen verschwanden unter den Dünen. Die Lonzker Düne beispielsweise hat ihren Namen von der Siedlung Laczka, die bis heute unter ihr begraben liegt. Opfer der Dünen ist auch das alte Leba, das ursprünglich westlich der heutigen Stadt mit ihren Fischerhäusern lag. Nach Dutzenden oder gar Hunderten von Jahren decken die weiterwandernden Dünen die Reste der Vergangenheit wieder auf. Reihen toter Baumstämme, Fundamente alter Siedlungen oder militärischer Versuchsgelände aus der Kriegszeit. Vor dem alten Leba ist heute ein Teil der roten Backsteinmauer der mittelalterlichen Nikolauskirche zu sehen, mitten im Wald. Dieses Schicksal erwartet auch die heutige Stadt. Nach Schätzungen wird sie in etwa 400 Jahren verschüttet sein.