Kasachstan

Kämpfen bis zum Umfallen

Die Redaktion liegt zentral, aber versteckt. Durch einen Hinterhof geht es zu einem grauen Wohnblock. In der ersten Etage sitzen die Mitarbeiter von „Respublika“, der wichtigsten Oppositionszeitung in Kasachstan. Es gibt kein Türschild, die Putzfrau öffnet nur zögerlich. Chefredakteurin Tatjana Trubaschewa ist eine selbstbewusste Frau mit blonden lockigen Haaren einem femininen roten Kleid. Es wirkt so als wolle sie ihrer Haltung damit ein Ausrufezeichen verpassen. 

„In Kasachstan ist es lebensgefährlich als Journalist zu arbeiten“, sagt sie. In ihrer Stimme liegt Bitterkeit. Kritische Berichterstattung ist in dem zentralasiatischen Vorzeigeland, das mit Öl reich geworden ist, nicht erwünscht. Immer wieder werden Journalisten brutal zusammengeschlagen, nicht selten verschwinden sie einfach von einem Tag auf den anderen. 

„Respublika“ erscheint einmal pro Woche und hat eine Auflage von 14.000. Das klingt wenig, aber wenn man das Internet dazu nimmt, kommt die Zeitung auf mehr als eine Million Leser im Monat. Interessant ist, dass sie seit 2002, seit ihrer Gründung vor zehn Jahren, zwölf Mal den Namen ändern musste. Aus „Respublika“ wurde unter anderem „Moja Respublika“. Heute heißt die Zeitung offiziell „Golos Respubliki“ – „Stimme der Republik“. Das hängt damit zusammen, dass Präsident Nursultan Nasarbajew Medienunternehmen immer wieder unter Druck setzt. So werden Oppositionszeitungen in regelmäßigen Abständen zu hohen Bußgeldern verurteilt, wenn sie besonders kritisch berichten. Und weil eine Zeitung wie „Respublika“ keine 300.000 Euro Bußgeld bezahlen kann, sucht sie sich einen neuen Namen. 

„Die Pressefreiheit ist permanent bedroht“, sagt Tamara Kalejewa von der Stiftung „Adil Soz“. Die Stiftung heißt auf Deutsch „Ehrliches Wort“ und beobachtet die Entwicklung im Medienbereich. Mehr als ein Dutzend Korrespondenten im ganzen Land melden der Zentrale in Almaty, wenn Zeitungen dicht gemacht oder Journalisten eingeschüchtert werden. „Immer wieder werden unliebsame Chefredakteure ausgetauscht“, sagt Tamara Kalejewa, „am schlimmsten ist die Situation in der Provinz“. Hier sind Zeitungen von Anzeigenkunden abhängig. Wenn sie kritisch berichten, werden wichtige Werbeflächen gekappt – was nicht selten das Aus für diese Zeitungen bedeutet.

Größere Freiräume gibt es dagegen im Internet. Insgesamt hat jeder dritte Kasache Zugang zum Netz. Deshalb haben Oppositionsmedien wie „Respublika“ hier ihre größte Leserschaft. Die Leser müssen allerdings über einen anderen Server auf die Seite gelangen, weil www.respublika-kaz.biz in Kasachstan blockiert wird. Auch in Russland sind unliebsame Webseiten zeitweise nicht zugänglich, aber dass Oppositionsmedien dauerhaft nicht aufgerufen werden können, deutet eindeutig auf eine stärke Internetzensur hin als im Bruderstaat Russland. Aber die Repressionen gehen noch weiter. Denn „Respublika“ hat auch mit technischer Zensur zu kämpfen. So wurde die Zeitung zwischen 2009 und 2011 in der Redaktion ausgedruckt und bis zum nächsten Morgen von Hand zusammengetackert. Der Grund: Keine kasachische Druckerei erklärte sich bereit, mit der Oppositionszeitung zusammenzuarbeiten. 

Dank der Zollunion mit Russland wird die Zeitung seit einem halben Jahr in Moskau gedruckt und nach Kasachstan eingeflogen. „Jede Oppositionszeitung ist ein Minenfeld“, sagt Chefredakteurin Tatjana Trubaschewa, „du weißt nie, wo die nächste Bombe hochgeht“. Besonders gefährlich sei es, über Politiker zu schreiben. Per Gesetz ist es beispielsweise verboten, über Präsident Nursultan Nasarbajew, seine Familie und deren Gesundheit zu berichten. Der Clan gilt als unantastbar. Wer sich nicht daran hält, hat mit fünf Jahren Haftstrafe zu rechnen. Derzeit gibt es die Tendenz, dass auch ganz normale Abgeordnete von öffentlicher Kritik abgeschottet werden – „damit bloß keiner mitbekommt, wo die Staatseinnahmen hinfließen“, meint Trubaschewa. 

Dieses eherne Gesetz hat Publizist Sergej Duwanow gebrochen. Er ist den Mächtigen schon seit einiger Zeit ein Dorn im Auge. Vor zehn Jahren hat er herausgefunden, dass Nasarbajew ein Schweizer Konto besitzt. Darüber hat er geschrieben – und wurde dafür brutal zusammengeschlagen. Er erinnert sich bis heute an die Worte der Attentäter, die gesagt haben sollen: „Wenn du nicht damit aufhörst, schlitzen wir dich beim nächsten Mal auf.“ 

Als Duwanow weiter berichtete, wurde er unter fadenscheinigen Gründen für eineinhalb Jahre ins Gefängnis gebracht. Heute sagt er: „Ich sehe, dass es in diesem Land Diebe gibt und darüber schreibe ich. Nur weil ich ins Gefängnis gewandert bin, ändert das doch nichts an meiner Haltung!“ In Kasachstan gibt es einige Journalisten, die ähnlich handeln und dafür teuer bezahlen müssen. Sergej Duwanow erzählt von „Autounfällen“, die drei seiner Kollegen das Leben gekostet haben. „In diesem Land darf man keine Angst haben – wenn man Angst hat, sollte man auswandern.“ 

Gleichzeitig nimmt die Regierung viel Geld in die Hand, um die öffentliche Meinung zu manipulieren. So gibt es jedes Jahr eine großzügig dotierte Ausschreibung namens „Gos Sakas“ – Staatsauftrag. Dafür stellt das Ministerium für Kultur und Information mehr als fünf Millionen Euro zur Verfügung und gibt genau vor, welche Themen bearbeitet werden sollen und welche Personen dafür interviewt werden müssen. Kasachische Medienunternehmen können sich auf diese Ausschreibung bewerben. Das Problem: Für viele regionale Medien ist dies die einzige Einkommensquelle. 2009 haben 92 Zeitungen, 21 Radio- und Fernsehsender und neun Fernseh- und Filmstudios im Auftrag von „Gos Sakas“ berichtet. 

„Die Journalisten bekommen zu hören, dass sie patriotisch sein und nur über die Erfolge der Regierung berichten sollen“, sagt Tamara Kalejewa von der Stiftung „Adil Soz“. Das erinnere an Sowjetzeiten. Fragt man die Chefredakteurin von „Respublika“, Tatjana Trubaschewa, nach einem Ausblick für die nächsten fünf Jahre, kommt erst einmal ein langer Seufzer. Schließlich erklärt sie: „Ich glaube, es wird dasselbe passieren wie in der Politik. Die echte Opposition sitzt im Gefängnis und an ihrer Stelle wurde eine Alibi-Opposition in Stellung gebracht. Die fährt eine andere Politik, aber unterstützt den Präsidenten. In Hinblick auf die Medien heißt das, dass in den nächsten Jahren die bestehenden Oppositionsmedien zerschlagen werden und an ihre Stelle staatstreue Medien rücken, die nichts mit Opposition zu tun haben.“ Für ihre Zeitung „Respublika“ habe das keine Auswirkungen – sie werde kämpfen bis zum Schluss.


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