Tschechien

Auf Korruptionstour durch Prag

Petr Sourek ist ein vielbeschäftigter Mann. Sein Handy klingelt andauernd. Vom Hörsaal der Technischen Universität in Prag eilt er zu einem Marketingkongress in einem Luxushotel. Zwischen eine Podiumsdiskussion und ein Interview wird dort schnell noch ein Shooting mit einem japanischen Fotografen gepresst. Petr Sourek ist Künstler und Philosoph. Stark gefragt aber ist er inzwischen, weil der Künstler mit einem ungewöhnlichen, aber gefragten Geschäftsmodell ins „Byznys“ eingestiegen ist, wie es so schön auf Tschenglisch heißt.

Sourek bietet seit Januar mit seinem Reisebüro „Corrupt Tours“ Stadtführungen auf den Spuren der Korruption in Prag und Usti nad Labem (Aussig) an. Korruption ist in Tschechien ein heißes Thema. 95 Prozent der Einheimischen halten sie nach einer aktuellen Umfrage für das größte gesellschaftliche Problem im Land. Deutsche Investoren bewerten das ähnlich. Kein Wunder, dass die Idee des 37-jährigen gezündet hat: Über 800 Interessierte aus dem In- und Ausland hat das Team von Corrupt Tours bereits zu Schauplätzen geführt, die für Investitionsruinen, Steuergeldversickerung in dunklen Kanälen, Bestechung und Einflussnahme von Lobbyisten stehen.

Wie jeder gute Unternehmer bedient der ursprünglich multimedial engagierte Theaterautor und Übersetzer eine Nische. „In Prag ist der gesamte Tourismus an Denkmälern ausgerichtet, das ist langweilig“, meint Sourek. Seine Thementouren versteht er als Gegenentwurf, der die Teilnehmer hinter die Fassaden blicken lässt. Zudem lässt er sich als kreativer Mensch von der Atmosphäre in der Gesellschaft inspirieren. Denn: „Wenn juristisch gegen Korruption vorgegangen wird, verläuft das in der Regel im Sande. Und dann weiß niemand mehr, was eigentlich passiert ist.“

In der Landeshauptstadt bietet das alternative Reisebüro inzwischen drei Touren an. „Bestechendes Prag“ führt zu Schauplätzen gigantischer Geldverschwendung: dem umstrittenen Autotunnel Blanka, der Letna-Ebene, wo der Neubau der Nationalbibliothek in Form einer gigantischen Krake floppte und dem Skoda-Palast, ein geplatzter Traum von einer Luxus-Repräsentanz des Autokonzerns. Die zweite Tour, „Krankenhäuser am Rande der Legalität“, erinnert nicht nur zufällig an die beliebte Arzt-Serie „Das Krankenhaus am Rande der Stadt“, die Ende der 1970-er Jahre auch in Deutschland ausgestrahlt wurde. „Safari“ schließlich – laut Sourek die lustigste Tour – macht per Fotoapparat Jagd auf besonders schillernde Vögel der Lobbyisten-Szene. Aufhänger in Aussig ist eine über drei Millionen Euro teure Seilbahn, die von einem Einkaufszentrum zu einem Ausflugslokal führt und die angeblich niemand braucht.

Sourek und sein neunköpfiges Team in bunten Uniformen wollen zwar aufklären, haben selbst aber mit der Aufdeckung von Enthüllungsstorys nichts am Hut. „Corrupt Tours“ verwendet nur Informationen, die in den Medien bereits verbreitet wurden. Die oft abstrakten Berichte über Verschwendung und Vetternwirtschaft will Sourek an den Schauplätzen seiner Touren sichtbar machen und zeigen, was Korruption bedeutet.

Am besten lässt sich dies am Beispiel der Villa von Roman Janousek illustrieren. Der Unternehmer und Lobbyist gilt als graue Eminenz der tschechischen Politik. Seinen starken Einfluss auf Entscheidungen des Prager Magistrats und die Demokratische Bürgerpartei ODS belegten erst kürzlich Veröffentlichungen von abgehörten Telefongesprächen zwischen Janousek und dem ehemaligen Oberbürgermeister Pavel Bem. Unmittelbar nach dem Abhörskandal geriet er erneut in die Schlagzeilen. Ende März verursachte Janousek betrunken einen Auffahrunfall. Als sich ihm die Unfallgegnerin in den Weg stellte, überfuhr er die Frau. Das Opfer wurde schwerverletzt; Janousek beging Fahrerflucht. Dass er trotz allem nicht festgenommen wurde, zog einen Rücktritt in der Polizeispitze nach sich.

In Podoli, einem beschaulichen Prager Stadtteil mit alten Bürgervillen, hat der Unternehmer einen Privatpalast gebaut. Hinter haushohen Mauern verschanzt er sich dort vor den Nachbarn. Nicht nur ein baulicher Affront, der laut Sourek erst im Nachhinein genehmigt wurde. Das Gebäude drückt Machtwillen und Abwehr aus: Niemand hat dem Besitzer in die Fenster, sprich Karten, zu gucken. „Corrupt Tours“ hat Roman Janousek die Trutzburg wohl verleidet. Auf einer der ersten „Safaris“ geriet er den Teilnehmern zufällig vor die Kameras. Ein Video, wo er aus seinem Auto heraus in den Garten hechtet, wurde genüsslich von tschechischen TV-Medien verbreitet.

Mit Beschwerden von Protagonisten wie Janousek kann Petr Sourek gut leben. Weitaus bedenklicher findet er die Reaktion des Krankenhauses Motol, ein Schauplatz der zweiten Tour. Im Foyer hat er dort in bester Theatermanier mit seinen Touristen ein interaktives Klinik-Spiel durchgeführt. „Das Krankenhaus wollte eine Nutzungsgebühr für unseren Besuch haben, ziemlich viel Geld“, schildert Sourek. Eigentlich nicht verwunderlich, denn die Klinik steht im Ruf, prominenten Patienten besseren Service gegen Bares zu bieten. „Corrupt Tours“ hat daraufhin das Foyer als Bühne für das Spiel gestrichen.

Ein Performance-Akteur als Reiseveranstalter, verkleidete Reiseführer, Sehenswürdigkeiten als Bühne: Ist das nicht vielmehr alles Theater denn ernsthaftes „Byznys“? Jung-Unternehmer Sourek ist pragmatisch: „Natürlich ist es ein Geschäft. Es muss nachhaltig werden, damit es weiterläuft und wir Geld verdienen.“ Die Chancen stehen gut. Aus Deutschland, Österreich und der Schweiz melden sich immer mehr Gruppen, die auf Korruptionstour gehen wollen – als Seniorenausflug ebenso wie aus wissenschaftlichem Interesse. Das „Garagenunternehmen“ Corrupt Tours hat so bereits zwei Arbeitsplätze geschaffen, verteilt allerdings auf viele Schultern.

Schon denkt Petr Sourek an Expansion. An „Reisezielen“ im eigenen Land mangelt es nicht, eher an den logistischen Möglichkeiten. Brünn oder Budweis hält er für attraktiv, würde dort dann aber Filialen aufbauen. In Karlsbad hat man während der Filmtage Anfang Juli einen Testlauf unter dem Motto „Korrupt-Kuren“ gestartet. Deutschland reizt Sourek, der eine Zeit lang in Berlin studiert hat, trotz der Wulff-Affäre nicht. „A priori wie a posteri uninteressant“, urteilt er.

In Tschechien ist der Künstler, der zum Unternehmer wurde, nun auch zum Medienstar avanciert. Über 50.000 Aufrufe verzeichnet die Aufzeichnung seines Auftritts beim beliebten Talkmaster Jan Kraus über den Videokanal You Tube. Nicht nur im Fernsehen ist Petr Sourek gefragt in Sachen Korruption. Ob Studentenworkshop zum Thema Gerechtigkeit in der Architektur oder Konferenz über Wahrheit und Lüge in der Marketingkommunikation, Sourek ist eingeladen, als Experte seine Sicht darzulegen. Sogar Autogramme muss er geben.
Und auch im Privatleben wird er anders wahrgenommen. „Meine Frau meint, ich könnte nun doch auch mal die Waschmaschine bedienen“, lacht Sourek. Dem Unternehmer traut sie solch praktische Fähigkeiten wohl eher zu als vorher dem Künstler.


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