Slowakei

Kulturhauptstadt mit K&K-Charme

Die Tschechoslowakei liegt im alten jüdischen Viertel gegenüber der orthodoxen Synagoge. In der Kneipe „Nositel Radu Prace“ – „Träger des Arbeiterordens“ sitzt man unter Dubcek- und Leninplakaten. Im jüdischen Gotteshaus gegenüber stellt Viktor Sefcik seine Werke aus. Sefcik hat in New York gelebt, in Italien und an ein paar anderen Orten der Welt, aber schließlich ist er doch zurückgekommen ins heimische Kosice.

Die Hauptstraße habe er in der Fremde am meisten vermisst, sagt er nach einigem Überlegen. Der 50-jährige kräftige Mann mit dem grauen Bart und der Halbglatze schlägt sich als freier Maler durch – bescheiden zwar, aber er findet doch immer wieder Käufer für seine leuchtendbunten Bilder, die an die Werke Pablo Picassos und die Kunst der Expressionisten der 1920er Jahre erinnern. Mit dieser Mischung hat er seinen eigenen Stil gefunden.

Hohe Arbeitslosigkeit

Kosice ist in diesem Jahr zusammen mit Marseille Europäische Kulturhauptstadt. Die ostslowakische Stadt will das Jahr nutzen, um nach vorne zu blicken und kulturell, aber auch wirtschaftlich weiterzukommen. Die Wirtschaft lahmt, die Arbeitslosigkeit liegt im strukturschwachen Osten des Landes bei fast 25 Prozent. Jobs gab es früher vor allem in der Landwirtschaft und in der Schwerindustrie. Jetzt sollen junge, kreative Unternehmen die alten Industriearbeitsplätze ersetzen. Aus einer ehemaligen Kaserne entsteht zum Kulturhauptstadtjahr ein Kulturpark, aus einem verfallenen Hallenbad eine Kunsthalle.

Bürgermeister Richard Rasi nennt in einem Interview das Ruhrgebiet als Vorbild: „Wir wollen eine Umgebung schaffen die die Zusammenarbeit junger, kreativer Köpfe fördert“. Bisher ziehen die meisten Absolventen der drei Universitäten weg. Sie hoffen in der Hauptstadt Bratislava, in Wien oder noch weiter im Westen auf besser bezahlte Jobs.

St.- Elisabeth-Kathedrale in der Fußgängerzone in Kosice / Anke Illing, n-ost
St.- Elisabeth-Kathedrale / Anke Illing, n-ost

Blanka Berkyova ist eine der Kreativen, die Kosice neuen Schwung geben. Die 37-jährige Landschaftsarchitektin gehört zu den wenigen slowakischen Roma, die sich aus dem Teufelskreis von Armut, Arbeitslosigkeit, Ausgrenzung und fehlender Bildung befreit haben. Für die Europäische Kulturhauptstadt 2013 leitet sie das Projekt „SPOTs“ für Bürgerbeteiligung und Stadtteilentwicklung - zum Beispiel im heruntergekommenen Roma-Viertel Lunik IX: Fenster fehlen, Heizungen funktionieren längst nicht mehr, von den Wänden bröckelt der morsche Beton.

„Dort haben wir Mütter gebeten, zusammen mit ihren Kindern ihren Alltag zu fotografieren“, berichtet Barkyova. Aus den Bildern entsteht eine Ausstellung. Der Film „Ich bin in Lunik IX geboren“, den die Bewohner zusammen mit der Roma–Medienagentur MECEM gedreht haben, gewann bereits 2011 den slowakischen Journalistenpreis.

Bis 1918 war das damals habsburgische Kaschau eine reiche Bürger- und Handelsstadt am Nordrand des ungarischen Königreichs. Nach dem Ersten Weltkrieg verteilten dann die Siegermächte den größten Teil Ungarns an die neuen Nachbarländer. Transsylvanien wurde rumänisch, weite Teile des Südens fielen an Jugoslawien. Der Norden mit seinem Zentrum Kosice gehörte von nun an zur Tschechoslowakei.

Zu spüren ist das Flair der untergegangenen K&K-Monarchie entlang der Hauptstraße mit ihrem reich verzierten Opernhaus, der östlichsten katholischen Kathedrale Europas, dem klassizistischen Bischofssitz, einigen Jugendstilbauten und den alten Kaffeehäusern, in denen Gäste in Ohrensesseln selbstgebackenen Kuchen essen und sich nach den alten Zeiten sehnen können.

Ostalgie in Kosice / Robert Fishman, n-ost
Ostalgie in Kosice / Robert Fishmann, n-ost

Im Sozialismus legte sich um die komplett erhaltene Kosicer Altstadt ein dicker Ring aus Plattenbauten. Die Prager Planer verordneten der Stadt im fernen Osten nahe der damals sowjetischen Grenze ein gigantisches Stahlwerk. Kosice musste möglichst schnell Wohnraum für die Arbeiter und ihre Familien schaffen. So entstanden in wenigen Jahren Plattenbauten für 50.000 Menschen. Inzwischen gelten die renovierten Betonkästen als beliebte, innenstadtnahe Wohnquartiere. Auf Grünflächen zwischen den Wohnblöcken rosten abstrakte Skulpturen vor sich hin. In den frühen 1970er Jahren verschönerten Künstler auch aus dem westl ichen Ausland die Parks auf Einladung der Stadt mit ihren Werken.

Von den alten Zeiten träumen auch die Gäste in der Nostalgiekneipe unter den Flaggen der CSSR. „No Photo, no people“ schimpft die Wirtin, wenn ein Tourist mit der Kamera in der Hand ihren skurrilen Laden betritt. Die Kulturmanagerin Blanka Berkyova will irgendwann weg aus Kosice, weg aus der Slowakei nach Westeuropa. Trotz guter Ausbildung, Studienabschluss und professionellem Auftreten fühlt sie sich als Roma diskriminiert. Hinter ihrem Rücken hörte sie einen Kollegen murmeln. „Schau an, das ist ja mal eine intelligente Romafrau.“ Immer wieder wird sie übersehen oder übergangen. Wie bei der Eisverkäuferin, die sie in der Warteschlange bewusst übersehen hat, um sich der nächsten, „weißen“ Kundin zuzuwenden.


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