Ukraine

Methoden wie zu Sowjetzeiten

Die Fußball-EM droht für die Ukraine zum Fiasko zu werden. Angela Merkel erwägt einen Boykott der Europameisterschaft, europäische Staatschefs meiden die Regierung in Kiew. Der Protest richtet sich gegen die Haftbedingungen von Julia Timoschenko. Die Oppositionspolitikerin sitzt in einem Charkower Frauengefängnis und sei vergangene Woche von Wärtern geschlagen worden, berichtet Nina Karpatschewa, ehemalige Menschenrechtsbeauftragte der Ukraine. Deutsche Ärzte appellieren an Präsident Viktor Janukowitsch, die 51 Jahre alte Timoschenko zur Behandlung nach Deutschland ausreisen zu lassen. Die Mahnungen lassen Janukowitsch kalt. Auf internationale Kritik reagiert er wie ein sowjetischer Funktionär: Abstreiten, Herunterspielen und so tun, als sei nichts gewesen.

Am Freitag waren im ukrainischen Fernsehen Fotos zu sehen, die Julia Timoschenko in ihrer Gefängniszelle zeigen. Der Körper der Politikerin weist deutliche Spuren von Verletzungen auf. Präsident Janukowitsch erklärte daraufhin, er werde die Staatsanwaltschaft einschalten, um „den Sachverhalt aufzuklären“. In der Sowjetunion war das eine Methode, um Dinge im Sande verlaufen zu lassen. Und so geschieht es momentan. Am Montag bestritt die Staatsanwaltschaft, dass Timoschenko geschlagen worden sei. Die Fotos und der Bericht von Karpatschewa hätten keine „Beweiskraft“, echauffierte sich Wadim Goran, Sprecher der Strafverfolgungsbehörde. Dass Timoschenko misshandelt worden wäre, sei bloß „die persönliche Meinung“ der ex-Menschenrechtsbeauftragten. Wahrscheinlich habe sich Timoschenko die Verletzungen sogar selbst zugefügt, legte Goran nach.

Das ukrainische Außenministerium tut so, als sei alles in bester Ordnung. Bundeskanzlerin Angela Merkel drohe gar nicht, die EM zu boykottieren, erklärt Sprecher Oleg Woloschin. Auch zur Absage der Jalta-Reise von Joachim Gauck hat das Außenministerium eine Erklärung parat. Der Bundespräsident habe niemals vorgehabt, in die Ukraine zu reisen, wiegelt Woloschin ab. Berichte über Boykottdrohungen seien wahrscheinlich gelogen. „Ich hoffe, diese Nachrichten sind nur Zeitungsenten“, erklärt Woloschin.

Präsident Janukowitsch will um jeden Preis vermeiden, dass in der Ukraine eine Diskussion über den EM-Boykott entflammt. Viele Ukrainer würden es Janukowitsch übel nehmen, wenn die Ukraine außenpolitisch isoliert wird. Deshalb nutzt der Präsident die Maifeiertage, um den Streit um Timoschenko auszusitzen und herunterzuspielen. Die meisten Ukrainer fahren in der ersten Maiwoche in den Urlaub, Zeitungen erscheinen nicht, das Fernsehen berichtete gestern nur beiläufig über die Empörung europäischer Politiker.

Junge Ukrainer nehmen die Boykott-Drohungen jedoch wahr. Die meisten sind westlich orientiert, sie fürchten, dass sich die Ukraine von Europa abschottet. „Ich fühle mich schon wie in Belarus”, sagt Nina Dimitrenko. Sie schäme sich für die Regierung, sagt die 23 Jahre alte Ingenieurstudentin weiter. In einem halben Jahr werde Dimitrenko tun, was viele gut ausgebildete Ukrainer vorhaben: Auswandern. Einen Studienplatz in Kanada habe sie bereits.


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