Selbstmordversuch offenbart Bankrott der politischen Klasse
Gegen 23 Uhr klopften die Polizeibeamten an der Tür der Villa in der Bukarester Zambaccian-Straße. Wenige Stunden vorher hatte eine Richterin das einstimmige Urteil des Obersten Gerichtshof verlesen: Einer der einflussreichsten Politiker in Rumänien, der frühere Premier Adrian Nastase, wurde wegen Amtsmissbrauchs zu zwei Jahren Haft verurteilt.
Als draußen in der Nacht zum Donnerstag die Kamerateams sämtlicher Fernsehsender auf die Bilder von der Abführung in Handschellen warteten, ertönte plötzlich ein Revolverschuss. Unter dem Vorwand, dass er ein paar Bücher mit ins Gefängnis nehmen wollte, hatte Nastase, der gleichzeitig Vorsitzender des Vereins rumänischer Jäger ist, zur Waffe gegriffen. Ein Polizist war schon im Zimmer und konnte den Selbstmord gerade noch verhindern. Innerhalb von Minuten war der prominente Sozialdemokrat in der Notaufnahme.
Zum ersten Mal nach der Wende muss ein hochrangiger Politiker ins Gefängnis. Und zum ersten Mal endet einer der zahlreichen Korruptionsprozesse gegen Nastase mit einer endgültigen Verurteilung. Der Fall geht auf das Wahljahr 2004 zurück. Als Ministerpräsident und Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei (PSD) bemühte sich Nastase damals um den Posten des Staatspräsidenten und dachte sich einen dubiosen Mechanismus aus, um seinen Wahlkampf zu finanzieren. Er ließ die zentrale Baubehörde in Bukarest sämtliche Bauunternehmen zu einer exquisiten Fachkonferenz einladen – mit dem subtilen Hinweis, dass im Falle einer Absage mit keinen weiteren Baugenehmigungen zu rechnen sei. Die überteuerten Teilnahmegebühren und großzügigen Spenden flossen dann über Umwege in die Wahlkasse der PSD.
Doch seine Kandidatur scheiterte, gewählt wurden sein Erzrivale, der heutige Staatspräsident Traian Basescu, und dessen rechtsliberale Koalition. Diese setzten infolge der Wirtschaftskrise drastische Sparmaßnahmen durch und versagten mit ihrem Versprechen, das Land von der Korruption zu befreien. Die Popularität der Mitte-Rechts-Regierung sank so rasant, dass die eigenen Abgeordneten ihr die Unterstützung verweigerten und sie bei einem Misstrauensantrag im Mai fallen ließen. Seitdem regieren in Bukarest wieder die Sozialdemokraten unter dem neuen Ministerpräsidenten Victor Ponta, der aber seit Montag mitten in einer peinlichen Plagiatsaffäre steckt. Dabei hatte die PSD bis vor kurzem die besten Chancen, die Parlamentswahlen im Herbst zu gewinnen.
In den rumänischen Medien und Internetforen wird der Fall intensiv debattiert: Für viele Rumänen offenbart der Selbstmord den Bankrott der gesamten politischen Klasse. „Der frühere Premier symbolisiert die Korruption im politischen System der letzten 20 Jahre. Doch der Eindruck, dass die Justiz jetzt plötzlich funktioniert, ist oberflächlich“, stellt der Politologe Daniel Barbu von der Bukarester Universität fest. Die Justiz in Rumänien sei alles andere als unabhängig, sondern sehr weiterhin selektiv und medienbewusst. Laura Stefan, Korruptionsexpertin beim Bukarester Think Tank „Expert Forum“, sieht in dem Urteil dagegen einen Wendepunkt. „Die Richter haben keine Angst mehr vor der Macht der Politiker.“