Polen

Medien spielen Krawalle herunter

Polens Medien reagieren verschreckt auf die Hooligan-Krawalle von Warschau. In normalen Zeiten führt die polnische „Gazeta Wyborcza“ einen „medialen Krieg gegen die Fanszene“. So klagen Vereine und Fanclubs.

Tatsächlich lässt die linksliberale Zeitung kaum eine Gelegenheit aus, nach Hooligan-Krawallen den Finger in die Wunden zu legen. Doch die Euro 2012 ist in Polen keine normale Zeit. Nach den Ausschreitungen in Warschau am Rande des Russlandspiels berichtet die „GW“ eher dezent. „Es gibt keinen Fan-Krieg mit Russland“, titelte die Online-Ausgabe am Donnerstag.

Ganz geheuer ist die allgemeine Bagatellisierung den eigenen Kommentatoren nicht. „Wir streuen Puderzucker über die Wirklichkeit“, heißt es im Blatt – allerdings vor allem mit Blick auf die Fernsehberichte über die Krawalle. Einen möglichen Grund für das beredte Schweigen enthüllt die Zeitung an anderer Stelle. In einem kommentierenden Text über den Polizeieinsatz gegen die Randalierer heißt es, die Sicherheitsbehörden seien an einer möglichst geringen medialen Aufregung interessiert. „Je weniger über all das gesprochen wird, desto besser ist es für das Bild Polens.“
An dieser Maxime orientiert sich offenkundig auch die zweite große Qualitätszeitung des Landes, die konservative „Rzeczpospolita“. Schon direkt nach den Krawallen verstieg sich dort ein Reporter zu der These, die befürchtete Straßenschlacht zwischen Polen und Russen sei ausgeblieben.

Europaweit flimmerten da bereits die Szenen von enthemmt aufeinander einprügelnden Hooligans über die Bildschirme. Ein „RZ“-Kommentator beschwor dagegen die polnischen Leser mit den Worten: „Die Banden konnten uns das Fußballfest nicht verderben. Dies ist ein gelungenes Turnier.“

Schon vor Beginn der EM war in Kreisen der polnischen Organisatoren, aber auch von Journalisten zu hören, man wolle es machen wie die Deutschen bei der WM 2006. Damals habe es Krawalle gegeben, über die niemand berichtete – zum Wohle des Landes. Eine gewagte These, die vor allem bei den Hooligans selbst populär ist. Die Gewalttäter fühlten sich 2006 nicht ausreichend gewürdigt. In Zeiten einer internationalen Allgegenwart von Medien ist ein derartiges Schweigekomplott in demokratischen Gesellschaften schwer vorstellbar.

Kampagnen dagegen gibt es allerorten. Polens mediale Ruhe nach dem Sturm greift auf diese Mechanismen zurück. Gebetsmühlenartig wiederholen Zeitungen, Radio- und TV-Kommentatoren das Wort von den „wenigen Hooligan-Banditen“, denen die überwältigende Mehrheit der friedliebenden Polen gegenüberstehe. Im Stadion habe beim Spiel gegen Russland eine grandiose Atmosphäre geherrscht, heißt es allerorten. Möglicherweise plagt die Journalisten auch nur das schlechte Gewissen. Schließlich waren es die Medien selbst, die die Emotionen vor dem Russlandspiel angeheizt haben. Immer wieder beschworen sie die schwierige Vergangenheit der beiden Länder und erinnerten an Schlachten, in denen nicht mit dem Ball, sondern mit Waffen geschossen wurde. Nun hätte man gern sein friedliches Fußballfest zurück. Polens Starkommentator Tomasz Lis schreibt: „Wir müssen im letzten Gruppenspiel die Tschechen besiegen und die Hooligans.“ Es wäre ein doppelter EM-Triumph.


Weitere Artikel