Besuch beim Oligarchen
Sie sind noch immer hier: Die Symbole der zerfallenen Sowjetmacht, Hammer, Sicheln und rote Sterne an den Verwaltungsgebäuden, eine riesige Lenin-Statue auf dem Platz der Freiheit, dessen Ausmaße größer sind als die des Roten Platzes in Moskau. Charkiw, tief im Osten der Ukraine, gilt als die sowjetischste Stadt im Land. Auch weil viele Menschen hier noch immer mit der alten Mentalität leben, ist dies für den Oligarchen Alexander Jaroslawski ein idealer Ort.
Er ist der reichste Mann der Zwei-Millionen-Stadt, und natürlich gehört ihm der örtliche Fußballklub Metalist. Die industrielle Existenz der Stadt gründet auf Eisenerz, daraus werden Traktoren und Panzer geschmiedet, früher für die Rote Armee, heute für China und Syrien. Längst füllt Jaroslawski das Machtvakuum in Charkiw, und seine Insignien verdrängen nach und nach die roten Sterne: Das blau-gelbe Wappen des FK Metalist Charkiw zeichnet Bauwände, Plattenbauten, und den modernen, völlig überdimensionierten Flughafen, den Jaroslawski für diese EM im staatlichen Auftrag hat bauen dürfen.
Seine Firmengruppe DCH (Development Construction Holding) hat hier die EM aufgebaut. Auch das „DCH“-Logo ist überall zu sehen. Es sieht aus, als wäre ein Riese mit einem Stapel Aufklebern durch die Stadt geschritten, um zu zeigen, was ihm gehört. Meins, meins, meins. Der Flughafen, das einzige Fünf-Sterne-Hotel, in dem die UEFA-Delegation wohnt, und natürlich das Metalist-Stadion, gleichzeitig Firmensitz der DCH. Eröffnet wurde es vor drei Jahren, am Tag seines 50. Geburtstags.
Wenn Alexander Jaroslawski im Büro ist, steht sein schwarzer gepanzerter Mercedes Geländewagen davor, wo sonst keine Autos parken dürfen. So wie heute. Dennoch lässt er zwei Stunden nach dem vereinbarten Termin verstreichen. Seine Assistentin nutzt die Zeit, um die Geldvermehrung durch die EM als Wohltat an den Menschen der Stadt zu preisen: „So etwas habe er noch nie gesehen, dass ein einziger Mann es möglich macht, aus einer Stadt einen EM-Spielort zu machen, hat Martin Kallen mir erzählt, der Turnierdirektor der UEFA“.
Überhaupt sei „Er“ ein erfolgreicher intelligenter und vor allem sehr gebildeter Geschäftsmann, der zu den Reichsten der Ukraine gehört, schwärmt sie. Er sei schon ein toller Mann. Seinen Namen spricht in Charkiw niemand aus. Nicht mal der Vizepräsident des ukrainischen Fußballverbandes FFU, Sergej Storoschenko, ein Vertrauer Jaroslawskis, der bei den Heimspielen von Metalist neben ihm auf der VIP-Tribüne sitzen darf, neben dem fünften blauen Sessel in der Reihe, der exakt auf Höhe der Mittellinie steht.
„Er ist ein ausgezeichneter und sehr kompetenter Präsident, dem die Menschen in Charkiw viel zu verdanken haben“, sagt Storoschenko, ein wichtiger Regionalpolitiker. „Er ist ein starker Führer, und ein echter Patriot, der alles für den Verein unternimmt, was in seiner Macht steht“, sagt Wowa, der Chef des Metalist-Fanklubs, der gleichzeitig einen Trupp Hooligans anführt, die sich dem Präsidenten verpflichtet fühlen.
Und dann kommt „Er“. Jaroslawski hat zuletzt viel abgenommen. Das blaue kurzärmlige Sporthemd mit dem Vereinswappen und die Trainingshose passen ihm nicht minder gut als seinen Spielern. Unter seinem angriffslustigen kurzen grauen Bürstenhaarschnitt liegen zwei ausdrucksstarke braune Augen in einem sonnengebräunten Gesicht. Er sieht gut aus. Für einen Mann seines Alters strahlt er hohe Vitalität aus. Yoga, kein Alkohol, gesundes Essen, eine sehr junge Ehefrau, viel Schlaf.
Er spricht leise, fast schon in sich gekehrt. 2004 hat er den Klub übernommen, als Metalist in der zweiten Liga spielte. Der Aufstieg kam noch im selben Jahr, Metalist wurde auf Anhieb Sechster der Premier Liga. Seither setzt Charkiw den beiden Spitzenmannschaften zu, Schachtar Donezk, vor allem aber Dynamo Kiew. Zwar wurde Metalist bereits eine Spielmanipulation in der Liga nachgewiesen, der Sportdirektor hatte eine Begegnung gekauft, aber längst ist der Klub Seriendritter, und regelmäßig in der Europa League vertreten. Aber einer, der Jaroslawski seit Jahren kennt, sagt, dass dieser sich früher nie so recht für Fußball interessiert habe. Woher also kam diese plötzliche Leidenschaft im fortgeschrittenen Alter?
„Die ist wohl mit Rinat Achmetow verbunden. Denn bevor ich auf Metalist kam, war ich Fan von Schachtar Donezk“, sagt Jaroslawski, dessen Vorbilder noch reichere Oligarchen sind. Etwa Achmetow, Eigentümer des UEFA-Cup Siegers von 2009. „Es hat mich regelrecht gepackt zu sehen, wie sehr jemand solch starke Gefühle beim Fußball entwickeln kann“. Von Achmetow, der zwischenzeitlich zehn brasilianische Spieler beschäftigt, habe er sich auch das sportliche Konzept abgeschaut. „Denn ein schwacher Klub Metalist wäre für ihn ja kein geeigneter Gegner. Aber sein Rat macht Metalist stärker, so dass Schachtar einen angemessenen Gegner hat.“
So stehen nun in beiden Teams hinten international erfahrene Osteuropäer, und vorne wirbeln Südamerikaner, wie in Charkiw etwa der argentinische Nationalspieler José Ernesto Sosa, der vor einigen Jahren als hoch gehandeltes Talent zu Bayern München kam. Jaroslawski ist stolz auf seine Scouts. „Diese Leute nerven mich sogar nachts, weil Argentinien und Brasilien ja in einer anderen Zeitzone liegen.“ Die Wand in seinem Büro hängt voller Fotos: Jaroslawski mit Achmetow, Jaroslawski mit Staatspräsidenten Janukowitsch, mit dem Fiat-Erben Elkann, mit Abramowitsch. Unter diesem Foto steht das Modell von Jaroslawskis marineblauer Mega-Yacht.
Was Abramowitsch kann, dem Chelsea London gehört, außerdem die längste Mega-Yacht der Welt, kann der Riese von Charkiw auch. Zumindest kann er es versuchen. So folgte dieses Stadion hier dem baulichen Vorbild vom Stadion an der Stamford Bridge. Und dann ist da noch das Bild von UEFA-Präsident Michel Platini mit dem Baby des Oligarchen auf dem Arm. Dessen Vater redet weiter über Fußball: „Man kann sagen, der Klub ist ein soziales Projekt. Ich gebe im Jahr so 35 bis 40 Millionen Dollar für die Liebe zum Fußball aus, und für die Liebe, die Metalist von den Menschen in dieser Stadt empfängt.“
Alexander Jaroslawski ist sich sicher, dass die Menschen am liebsten ihn als Bürgermeister hätten. Zwar interessiert ihn dieser Posten nicht, aber er lässt entsprechende Umfrageergebnisse verbreiten. Das hinterlässt ein Gefühl von echter Macht. Diese liegt in der Ukraine schließlich nicht in den Händen der Politiker, sondern bei schwerreichen Oligarchen wie diesem Milliardär Wie er denn die erste Million gemacht hat? „Da kann ich mich gar nicht mehr dran erinnern.“