Ukraine

Fußball unter Hakenkreuzen

Für jedes Ligaspiel gehen bis zu 3.000 Karten über diesen Schreibtisch. Auf dessen Vorderseite prangt ein gezeichneter Reichsadler, der ein Hakenkreuz in den Krallen hält. Davor schart sich eine Gruppe schwarz gekleideter junger Männer: Ultras, die radikalsten Fans des Erstligisten Karpaty Lemberg. In der Ukraine sind die meisten von ihnen auch politisch radikal, so wie diese „Banderstadt Ultras“ in Lemberg.

Sie treffen sich in einer Wohnung am Rand der Altstadt, die zum Weltkulturerbe gehört. Hier bereiten sie ihre Choreographien und Pyroshows vor – und hier verkaufen sie die Karten für ihren Block in dem Stadion, in dem die deutsche Elf Sonntag gegen Dänemark spielt. Die Wohnung und die Tickets werden ihnen vom Klub-Eigentümer überlassen. Wer auf ihre Tribüne möchte, muss hier eine Karte kaufen. Aber nur weißhäutigen Menschen ist das erlaubt: Keinen Roma, keinen Kaukasiern, Afrikanern oder Türken.

Für Andrej, einer dieser Ultras, der sich zum neonazistischen „Nationalen Widerstand“ bekennt, ist das eine feste Regel: „Wir verkaufen nur Tickets für unsere Leute. Ich gehe ja auch nicht in die Moschee und sage, hey Jungs, darf ich mal mit euch beten?“ Sein Kumpel Rostik ist der politische Kopf der Gruppe, die zu wichtigen Spielen bis zu 2.000 Anhänger mobilisiert. „Wir haben schon immer eine Tradition: keine dunkelhäutigen, keine schwarzen und keine schlitzäugigen Leute in unserem Block. Das ist Rassismus, aber das war in Lemberg schon immer so.“

Ihnen geht es darum, das Stadion, ganz Lemberg, weiß zu halten, das von Nationalisten „Banderstadt“ genannt wird. In Erinnerung an ihren historischen Vordenker Stepan Bandera, aus dessen Anhängerschaft sich viele Männer nach der deutschen Besatzung für die SS-Division Galizien rekrutieren ließen, um gegen die Rote Armee der verhassten Sowjetunion zu kämpfen. Für Andrej jedenfalls „sieht alles Multikulturelle aus wie eine Kloake.“ Dann zieht er sein rechtes Hosenbein hoch und zeigt ein deutsches Tattoo: „Unsere Ehre heißt Treue“, der Wahlspruch der Waffen-SS – nach einem Zitat von Adolf Hitler.

Solche NS-Analogien sind bei vielen radikalen Fangruppen in der Ukraine beliebt. Vor allem bei Dynamo Kiew, die mit diesen Ultras hier befreundet sind, aber auch bei Dnipro Dnipropetrowsk oder Metalist Charkiw. „Juden und Kommunisten haben nichts anderes verdient als das KZ“, sagt ein rechtsextremer Metalist-Anhänger auf Nachfrage zu seinem Unterarm-Tattoo „Jedem das seine“. So lautete die Inschrift im Konzentrationslager Buchenwald, in der Bedeutung von „jedem, was er verdient“.

Der Vizepräsident des ukrainischen Fußballverbandes, Sergej Storoschenko, will von rechtsextremen Einflüssen in der Liga nichts wissen: „Dieses gesellschaftliche Problem haben wir in der Ukraine nicht“, sagt er kurz. Eine aktuelle Analyse der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung über „Vielfalt und Toleranz“ in der Ukraine widerlegt das. Dort ist von einem „Anstieg an Extremismus und fremdenfeindlichen Aktivitäten“ die Rede, und die Verbindung zwischen der Swoboda und radikalen Fans wird dort belegt. Auch Artem Frankow, der Chefredakteur des Fachmagazins „Futbol“, beobachtet das mit Sorge: „Ich stelle fest, dass die Swoboda aktiv mit Fußball-Fans zusammenarbeitet. Denn die Fan-Gruppen sind stramm organisiert, selbstlos und aktivistisch.“

Bei einem Streifzug mit dem Lemberger Ultra Andrej durch die pittoreske Altstadt der westukrainischen Kulturmetropole fallen viele Hakenkreuze auf: Am Eingang der Universität, auf Bauzäunen und denkmalgeschützten Häuserwänden: „Kill jews“ steht dort, „Scheiß Jude“ neben einem stilisierten Galgen oder „Jude verrecke“ – auf Deutsch. Und immer wieder Keltenkreuze für die angebliche Überlegenheit der weißen Rasse. Auch das Wappen der SS-Division Galizien taucht häufig im Stadtbild auf. Mit ihm wirbt die rechtsextreme Partei Swoboda (Freiheit), die im Rathaus die Mehrheit stellt.

Ihr Fraktionsvorsitzender Ruslan Koschulinski erklärt, warum seine Partei in engem Kontakt mit den Karpaty-Ultras steht: „Das ist unsere Mannschaft, die wir schon immer unterstützt haben. Das hier ist unser Boden, es ist unser Land, für das wir auf ewig einstehen. Wegen dieser Gemeinsamkeiten unterstützen viele Karpaty-Anhänger, auch die Swoboda.“ Seine Partei hat auch einen Protestmarsch gegen ausländische Spieler in der heimischen Premier Liga organisiert. Denn Fans wie Andrej stört es, dass dort zeitweilig mehr Brasilianer spielen als etwa in der spanischen Primera Division. 5.000 rassistische Fans folgten dem Aufruf der Swoboda.

Zum Jahrestag der Befreiung vom Nazi-Terror im vergangenen Jahr in Lemberg haben sie dann zugeschlagen: Gemeinsam mit Ruslan Koschulinski und der Swoboda protestierten Karpaty-Ultras gegen ein Veteranentreffen. Dabei griffen einige gewalttätige Fußballfans Busse mit den ehemaligen Mitgliedern der Roten Armee an. In einem dieser Busse saß auch der kommunistische Lokalpolitiker Juri Tkaschenko, um die alten Menschen zu begleiten. „Viele von ihnen kamen mit ihren Enkelkindern. Wie alle anderen hatte auch ich Angst um mein Leben.“

Tkaschenko sieht in den Ultras den gewalttätigen Arm der Swoboda. Ob der sich auch bei der EM gegen Deutschland zeigen wird? „Wir sind auf alles vorbereitet“, sagt Andrej, dem es aber wichtig ist zu erwähnen, dass von seinen Ultras keine Provokation ausgehen wird. Seit einem Jahr ist der Kontrolldruck durch Polizei und Geheimdienst hoch. Schließlich steht auch die Stadt unter Druck von außen.

Und noch immer wirkt die letzte Begegnung der „Banderstadt-Ultras“ mit einer größeren ausländischen Fangruppe nach: Im Herbst 2010 spielte Karpaty in der Europa League zu Hause gegen Borussia Dortmund. Thilo Danielsmeyer vom Dortmunder Fanprojekt erinnert sich. „In der Stadt war niemand auf 800 ausländische Fußballfans vorbereitet. Auch die Polizei war überfordert, dort sprach keiner Englisch.“ Schließlich eskalierte die Situation vor der Oper, wo in diesen Tagen das Fanfest organisiert wird. „1.000 Ultras rannten auf uns zu, und feuerten Pyros auf uns ab. Es war ein gut organisierter bedrohlicher Mob.“ Es habe Verletzte gegeben, sagt er. „Als der Mob dann 50 Meter vor uns auftauchte, fielen Schüsse.“ Die überforderte Polizei hatte scharf in die Luft geschossen. Erst dann war Ruhe.


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