Polen

Grzegorz Lato – Fußball-Legende mit Nehmerqualitäten

Er grinst nur. Journalisten und Politiker, die Grzegorz Lato auf Korruption im polnischen Fußball ansprechen, ernten Reaktionen irgendwo zwischen Kopfschütteln und lautem Lachen. Der 62-jährige Verbandspräsident wähnt sich unangreifbar. Vor der Europameisterschaft, die am Freitag mit dem Eröffnungsspiel in Warschau beginnt, hat niemand im Gastgeberland ein Interesse an öffentlichem Aufruhr. Die Abrechnung beginnt nach dem Finale. Sicher ist aber auch das nicht. Viel hängt vom Erfolg ab. „Ich tendiere dazu, wieder für den Vorsitz zu kandidieren“, kündigte Lato dieser Tage in einem großen Interview an.

Seine Kritiker ballen bei solchen Worten die Faust in der Tasche – oder wetzen sogar die Messer. Sie wollen Lato lieber heute als morgen fallen sehen. Fakt ist: Seit Jahren erschüttern immer wieder Skandale den polnischen Fußball-Verband PZPN. Parallel zu Latos Amtsantritt 2008 mussten gleich mehrere Vereine aus der höchsten Liga absteigen, weil sie Spiele manipuliert hatten. Doch der Neue an der Spitze änderte nichts. Im Gegenteil: Trauriger Tiefpunkt der schmutzigen Serie waren im vergangenen Herbst Korruptionsvorwürfe gegen Lato persönlich.

Seine Gegner im Verband präsentierten damals den illegal beschafften Mitschnitt eines Gesprächs. Lato redete dort von Preisen und Prozenten. Hatte er bei der Auftragsvergabe für die neue PZPN-Zentrale Bestechungsgeld kassiert? Sportministerin Joanna Mucha schaltete die Anti-Korruptionsbehörde CBA ein. Lato jedoch lachte nur und sagte: „Alles Unsinn. Niemand hat belastbare Beweise.“ So blieb es bis heute.

Der Ruf des einst besten Rechtsaußen der Welt hat allerdings längst schweren Schaden genommen. 2008 galt der neue Präsident als Hoffnungsträger einer leidenden Fußballnation. Seit dem dritten Platz der Lato-Elf bei der WM 1982 hat Polen bei internationalen Turnieren keinen Erfolg mehr erzielt. Kleinere Nationen machten vor, wie es ging: die Europameister Dänemark (1992) und Griechenland (2004) zum Beispiel oder der direkte Nachbar Tschechien als EM-Zweiter (1996). Die Weiß-Roten dagegen kannten nur die Niederlage. 2007 hatte dann die gemeinsame EM-Bewerbung mit der Ukraine Erfolg. Lato übernahm das Ruder im Verband. Was konnte nun noch schiefgehen?

Der neue Fußball-Chef rief Erinnerungen an Polens „goldene 70er“ wach – vor allem an jenes Turnier, als die Mannschaft Weltmeister der Herzen wurde. 1974 in Deutschland stürmten Lato, Deina, Gadocha und Co. von Sieg zu Sieg. Lato wurde mit sieben Treffern Torschützenkönig der WM. Nur die Gastgeber und späteren Weltmeister besiegten Polen 1:0 – in der „Wasserschlacht von Frankfurt“ unter irregulären Bedingungen. „Das war kein Fußball, sondern Wasser-Polo“, erinnert sich Lato an das Spiel gegen Deutschland, in dem Polen die bessere Mannschaft war.

Für die Weiß-Roten blieb ein starker dritter Platz nach einem 1:0 gegen den entthronten Weltmeister Brasilien. Torschütze war Lato. Als Trostpflaster bekamen die Spieler vom Verband einen BMW geschenkt. In der kommunistischen Volksrepublik war das eine Sensation. Böse Zungen behaupten, damals habe Lato Nehmerqualitäten entwickelt. Privilegiert waren die Topstars des polnischen Fußballs aber schon lange vorher. Lato, der im nordpolnischen Malbork geboren ist, spielte für den kleinen Karpatenklub Stahl Mielec, der von höchster Stelle protegiert wurde. „Der Verein hielt den Spielern den Rücken frei“, sagt Lato heute vieldeutig.

Kurz vor seinem Karriereende wechselte Lato 1980 zum SC Lokeren nach Belgien und später nach Kanada, in den goldenen Westen. 1982 wurde er erneut WM-Dritter. Da stand er aber schon im Schatten von Mittelfeldstar Zbigniew Boniek. Nach der politischen Wende von 1989 versuchte sich der zweifache Familienvater als Trainer in Toronto und bei seinem alten Verein Stahl Mielec. Er scheiterte ebenso wie als sozialistischer Senator in der Politik. Der Aufstieg zum Verbandspräsidenten war eine neue Chance für den alten Helden. Genutzt hat er sie nicht. Die EM in Polen, so sehen es viele seiner Landsleute heute, kann nur trotz, nicht wegen Lato zum Erfolg werden.


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