Wer ist Julia Timoschenko?
Sie krümmt sich vor Schmerzen, verweigert die Nahrung. Sie kämpft. Kämpft den Kampf ihres Lebens – und ist jetzt schon die große Gewinnerin in diesem Ringen um Recht und Unrecht, diesem Gefecht, in dem es nicht mehr um dieses Recht und jenes Unrecht geht, sondern wo längst Machtgerangel und persönliche Eitelkeiten die Hauptrollen übernommen haben, nun mit internationaler Unterstützung. Endlich! Endlich schaut die Welt hin.
Julia Timoschenko, die einstige Anführerin der ukrainischen Revolution in Orange, ist zweifellos ein Opfer des autoritären Regimes in ihrem Land. Die Jeanne d‘Arc mit dem blonden Haarkranz versteht es allerdings hervorragend, sich als Märtyrerin im politischen Krieg zwischen Licht und Dunkel zu stilisieren. Eine Heilige ist die 51-Jährige aber nicht.
Sicher, die Ukraine, die mit Timoschenko an der Spitze so etwas wie eine fragile Demokratie war, zeigt unter ihrem Widersacher, dem Präsidenten Viktor Janukowitsch, nach und nach autoritäre Tendenzen. Das Parlament ist entmachtet, die Presse geht am Gängelband, auf dem Korruptionsindex von Transparency International nimmt die Ukraine Rang 152 ein, die gleiche Stufe wie Tadschikistan. Die Vergangenheit von „Julia“ jedoch, wie ihre Anhänger sie nennen, ist nicht so makellos, wie die Vollblutpolitikerin gern glauben macht.
Mit einem Videoverleih steigt sie Ende der 1980er Jahre in die Wirtschaft ein, schafft ihren Durchbruch aber mit Gasgeschäften in den 1990ern – wie so viele nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Die Art und Weise solchen Erfolgs ist auf dem gesamten postsowjetischen Raum höchst problematisch, bis heute. Vor allem zwischen 1995 und 1997 erwirtschaften Timoschenko und ihr Mann Olexander mit ihrer Firma Jahresumsätze von umgerechnet 10 Milliarden US-Dollar. Das Prinzip ihres Unternehmens „Vereinigte Energiesysteme“ (EESU) ist einfach: Der Stromkonzern importiert subventioniertes Gas aus Russland und verkauft es mit Milliardenprofiten zu Weltmarktpreisen. Als Monopolist beherrscht die Firma den gesamten Gasmarkt des Landes. Der, der den Timoschenkos dazu verhilft, ein späterer Premierminister der Ukraine, sitzt seit 2004 in den USA in Haft – wegen Geldwäsche. Auch heute noch wird das Kapital der Familie auf mehrere Hundert Millionen US-Dollar geschätzt. Ihren Besitz bezeichnete Julia Timoschenko einst als „irgendwelche Ersparnisse“.
In den Hochzeiten von EESU wechselt Timoschenko in die Politik, nichts Ungewöhnliches in der Ukraine, in der regionale Machtgruppen verschiedener Unternehmen die politische Landschaft prägen und die Politik zu einem Mix aus Seifenoper und Serienkrimi ausgestalten. Sie klettert die Karriereleiter hoch und stolpert nach einigen Jahren – mit ihren Reformen des Energiesektors. Ihr erster Gefängnisaufenthalt folgt 2001. „42 Tage hielten sie mich gefangen, ich habe gelernt, mich der Macht zu widersetzen“, wird sie später sagen.
Timoschenkos Kampf beginnt. Sie ändert ihr Äußeres: Aus dem kastanienbraunen Haar wird der markante blonde Haarkranz. Für Millionen Menschen im Land verkörpert sie die Hoffnung für den Wandel, zusammen mit dem späteren Präsidenten Viktor Juschtschenko. Doch kaum sind die Weggefährten an der Macht, liefern sie sich einen politischen Rosenkrieg. Juschtschenko sagt heute: „Der größte Fehler meines Lebens heißt Julia Timoschenko.“
Der zweite Prozess gegen die Ex-Premierministerin – eine Farce, weil er mehrere Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention bricht – zeigt nur noch die Enttäuschung der Menschen für all das, wofür sie vor knapp acht Jahren in der Kälte ausharrten. Was hinter den Anklagen tatsächlich steckt, kann so nie geklärt werden. Die Beliebtheit Timoschenkos im Volk sinkt rapide. Den Schauprozess nutzt die 51-Jährige oft, um sich als Rächerin in eigener Sache zu präsentieren. Einen Racheengel braucht die Ukraine aber genauso wenig wie einen autoritären Präsidenten.