Ukraine

Nackte Argumente

Die Blondine ist rothaarig. Sie versteckt sich, obwohl sie auffallen will. In der Stadt, im Land, ja in der Welt. Obwohl sie zeigen will, dass sie den Mund nicht zumachen wird, nie. Schon gar nicht jetzt, während der Fußball-Europameisterschaft in ihrem Land. Sie will stören, jede Veranstaltung, mit ihren eigenen Waffen, die sie immer bei sich trägt. Die an ihrem Körper befestigt sind wie zwei halbierte Äpfel.

T-Shirt hoch, Kleidchen runter – schon hat sie sie, die Bilder mit der nackten Brust und den darauf gepinselten Parolen: gegen Prostitution und Sextourismus und korrupte Politiker und gierige Banker, gegen all das Böse und Schlechte in der Welt. Sie nimmt zahlreiche Anzeigen wegen Hooliganismus in Kauf – und genießt die Bewunderung anderer junger Frauen rund um den Globus. „Neu-Feministinnen“ nennen sich Dutzende junger Ukrainerinnen der Frauengruppe „Femen“ aus Kiew. Mit ihrem Nacktprotest kämpfen sie für mehr Freiheit in ihrem Land und gegen Ausbeutung von Frauen.

Inna Schewtschenko schlüpft in ihre rosa Hausschuhe, streicht sich die roten Haare aus dem Gesicht. Erst vor ein paar Tagen hat sie ihre Mähne gefärbt, damit Milizionäre sie in der Menschenmenge nicht sofort erkennen und sogleich in den Polizeiwagen schleifen – was sie dann doch tun, ein paar Minuten später. Da aber hat die 21-Jährige schon ihr T-Shirt hochgezogen, ihre Brüste in die Kameras gehalten, „Die Ukraine ist kein Bordell“ hat sie gerufen und den EM-Pokal von seinem Thron gestoßen.

Weg mit dieser EM, mit dieser Heuchelei, der Korruption, den gierigen Männern, die sich die ukrainischen Mädchen schnappen, weil sie so jung, so schön, so willig sind. Solche Bilder hat Inna Schewtschenko im Kopf, als sie in der Schlange in Dnipropetrowsk steht, in dieser Industriestadt im Osten der Ukraine, in der Julia Timoschenko, die Kämpferin für die Revolution in Orange, „der Janukowitsch im Rock“, so die Femen-Frauen, zur Welt kam und in der nur wenige Wochen vor der EM vier Bomben explodiert waren. Inna Schewtschenko hat es wieder geschafft – in die Zeitungen, ins Fernsehen, in die Debatten rund um den Fußball und die Ukraine.

„Nacktheit bringt Aufmerksamkeit, und Aufmerksamkeit ist Macht“, sagt Inna Schewtschenko. Da ist sie wieder zurück aus Dnipropetrowsk, sitzt im gerade fertiggestellten Femen-Kellerbüro im Kiewer Zentrum und macht sich mit anderen Frauen Gedanken über die nächste Aktion. An die Wand haben sie den vitruvianischen Menschen nach Leonardo da Vinci gezeichnet, natürlich als Frau. Daneben steht: Sie kam, zog sich aus und siegte. Auf dem Boden liegen Plakate und Farbtuben herum, an der Wand hängen die traditionellen ukrainischen Haarkränze. Die „Neu-Feministinnen“, alle Anfang bis Ende 20, trainieren, so nennen sie die Vorbereitungen für den Nacktprotest. Sie kämpfen in einem Land, in dem Männer im Internet Frauen bestellen können, in dem riesige Plakate um junge Frauen werben, denen sie Männer in Westeuropa und den USA versprechen, in einem Land, in dem Prostitution verboten ist.

„Du musst dich richtig gegen den Pokal lehnen, das Ding ist verdammt schwer“, sagt Inna Schewtschenko. Wegen ihrer nackten Brust hatte die Journalistin vor zwei Jahren ihren Job beim Kiewer Bürgermeister verloren. Auf der Holzleiter steht ein grauer Plastikeimer, daran haben sie Henkel aus Metall geschraubt: der „Pokal“. Jana Schdanowa macht ihren Oberköper frei, wirft sich auf den Eimer, die Leiter knallt herunter, einige Streben fliegen heraus. Geschafft. Am nächsten Tag in Donezk bleibt der echte, der UEFA-Pokal, auf seinem Podest, kaum hat Jana Schdanowa ihr Kleid runtergezogen, wird sie von den Milizionären abgeschottet und abgeführt. Wieder eine Strafanzeige.

Das Bild der ukrainischen Frau ist geprägt vom Klischee: schön, arm und leicht zu haben. „Die Mädchen in der Ukraine träumen davon, einen reichen Mann zu heiraten, am besten einen aus dem Westen. Dann hast du es geschafft, wird dir von der Außenwelt stets vermittelt“, sagt Inna Schewtschenko. Seit April 2009 ist sie dabei und mittlerweile so etwas wie eine Trainerin für die noch jüngeren Protestlerinnen, „Topless-Soldatinnen“, wie sie sich selbst nennen. 300 Frauen machen bei „Femen“ mit, 30 ziehen sich aus – in der Ukraine, in Russland, in Weißrussland, in der Türkei, in der Schweiz, in Frankreich. Zu bekämpfen gibt es genug in der Welt.

„Das Ausziehen ist ein Initiationsritus“, sagt Anna Huzol, die 27-Jährige, „Mutter“ der Organisation. Es war ihre Idee, sich für die Frauenrechte einzusetzen, vor sechs Jahren bereits, noch in Chmelnizki, einer grauen Provinzstadt im Westen des Landes. Anna Huzol hatte August Bebel gelesen, den Entwurf zur Gleichberechtigung der Frauen, den der Begründer der sozial-demokratischen Arbeiterbewegung in Deutschland bereits Ende des 19. Jahrhunderts ins Parlament eingebracht hatte. Gleichberechtigung? Die Wirtschaftsstudentin schaute sich um, sah ihre Mutter, ihre Großmutter, die Gleichaltrigen – und beschloss zu kämpfen. In einem Gesprächskreis, noch angezogen. Die Provinz hatte aber ihre Grenzen.

Sie zog mit Gleichgesinnten in die Hauptstadt, dachte sich Straßenaktionen aus. Ganz in Rosa gingen sie raus, schrien die Losungen in die Luft – niemand hörte zu. Dann fielen die Hüllen, im März 2010, prompt war das Interesse da. „Wir sorgen für Skandale und erziehen so die Leute zum Nachdenken, Überdenken der Lage“, sagt Anna Huzol, die selbst nur noch im Hintergrund agiert, ausgezogen hat sie sich nie.

Kritiker werfen „Femen“ vor, der Ukraine zu schaden, sich selbst zu einem Sexobjekt zu machen. Die ukrainische Schriftstellerin und Feministin Oxana Sabuschko hält sie für naiv: „Der Protest beschränkt sich darauf, Brüste zu zeigen. Es wird aber nicht klar, was Femen zu sagen hat.“ Anna Huzol, die Kleine mit den kurzen roten Haaren, ist sich sicher: „Jede Frau, die bei uns war, wird kein Opfer mehr, in jeglicher Hinsicht.“

Sie sind nun zu viert, die sich hauptberuflich „Femen“ widmen. Das Geld kommt von privaten Spendern und aus dem Merchandising-Verkauf von Tassen, Taschen, T-Shirts. Manchmal malen sie sich ihre Brüste in Blau und Gelb an, den Nationalfarben der Ukraine, und drücken sie auf ein Blatt Papier. Bis zu 100 Dollar bringen solche Werke mit der stilisierten und längst politisierten Brust ein.

„Es ist kein Spiel, kein Hobby, es ist eine Lebensart“, sagt Inna Schewtschenko, die schöne, zarte Soldatin in eigener Sache. Der Eimer-Pokal steht wieder auf der Holzleiter. „Mit voller Wucht darauf“, ruft sie. „Und vergesst nicht, die Pässe in die Unterhosen zu stecken.“


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