Verunsicherung bei EM-Partner Polen
„Endlich sind wir Polen mal die Guten“, sagt Zeitungsverkäufer Waldek leicht ironisch mit Blick auf die vor ihm liegenden Schlagzeilen. Großes Thema ist der deutsche Boykott-Aufruf des EM-Gastgebers Ukraine. „Wir können zwar keine Autobahnen bauen, aber Meinungsfreiheit und Menschenrechte haben wir uns wirklich erkämpft.” Auf die Frage, was er von einem einem Boykott der Ukraine hält, raunt er nur mit wegwerfender Geste: „Politische Spielchen. Natürlich findet alles so statt wie geplant.“
Funktionäre aus Politik und Sport Polens können sich dieser Tage zu einer solch gelangweilt-skeptischen Grundhaltung allerdings nicht durchringen. Ihre Stimmung liegt vielmehr zwischen Verärgerung und Verunsicherung. Verärgerung über die ihrer Meinung nach völlig realitätsfernen Ideen, die in der Ukraine geplanten Spiele nach Polen oder in andere Länder zu verlegen – oder gar, das ganze Turnier um ein Jahr zu verschieben. Verunsicherung, weil man auf keinen Fall in Verdacht kommen will, der Politik des ukrainischen Präsidenten Janukowitsch kritiklos gegenüber zu stehen.
Die Richtung für die politische Beurteilung gibt der Sprecher des polnischen Außenministeriums vor: „Wir verurteilen die Art und Weise des Gerichtsverfahrens gegen Julia Timoschenko. Die Drohung mit einem Boykott der EURO 2012 ist aber ein Irrweg. Julia Timoschenko selbst bittet immer wieder darum, ihr zu helfen, ohne der Ukraine zu schaden.“
In das gleiche Horn stößt Adam Olkowicz, Direktor des polnischen Organisationskomitees der EURO 2012: „Ich appelliere, Politik und Sport nicht zu vermischen. Die politischen Vorkommnisse in der Ukraine sind zwar bedauerlich, dies bedeutet aber nicht, dort die EURO 2012 nicht austragen zu können. Wir haben nicht so lange gemeinsam mit der unseren ukrainischen Partnern gekämpft, um das Turnier jetzt alleine auszutragen“, zitieren ihn polnische Medien.
Dezidierter zu den Gründen für die derzeitige Diskussion äußert sich der ehemalige Präsident des Polnischen Fußballverbands und jetzige Uefa-Funktionär Michal Listkiewicz in der Sportzeitung „Przeglad Sportowy“. Er glaubt an einen weiter latent vorhandenen Frust in Deutschland und anderen westlichen Ländern wegen der Vergabe des Turniers an Polen und die Ukraine. Zum Vorschlag der Verschiebung um ein Jahr poltert er: „Die deutsche Presse liebt den Klatsch und hat schon vor Jahren Grzegorz Lato [den derzeitigen Präsidenten des polnischen Fußballverbandes, A.d.R.] dazu animiert, den Vorschlag einer deutsch-polnischen Alternativlösung ins Spiel zu bringen.“ Die Kürze der Zeit bis zur EURO 2012 machten nach Meinung Listkiewiczs aber all diese Gedankenspiele zu Makulatur.
Ähnlich sehen es all jene, die sich ernsthafte Gedanken über die organisatorischen Folgen einer Ausbootung der Ukraine machen. Andrzej Juskowiak, ehemaliger polnischer Nationalspieler, auch lange in der Bundesliga aktiv und heute Fernsehexperte, gibt zu bedenken: „Zwar verfügt Polen über die infrastrukturellen Möglichkeiten, weitere Spiele zu übernehmen. Aber wie löst man das Problem der bereits verkauften Tickets für die Fans? Die Plätze sind reserviert und bezahlt, Reisen und Hotels gebucht, und es ist viel zu wenig Zeit, das alles noch zu ändern.“