Ukraine

Fußball total!

Literatur und Fußball? Das geht doch nicht zusammen! Das passt so wenig wie Gesang zu Franz Beckenbauer oder gestandene Frauen zu Lothar Matthäus. Unter ukrainischen und polnischen Schriftstellern scheint sich diese Weisheit jedoch noch nicht herumgesprochen zu haben. Denn sonst hätten sie nicht kurz vor der Fußball-Europameisterschaft in ihrem Land den mutigen Versuch unternommen, die beiden so ungleichen Genres in Kurzgeschichten und Stadtportraits zu vereinen. Das Wagnis aber ist geglückt und kann in gleich zwei Büchern nachgelesen werden, die wenige Wochen vor Beginn der EM auf Deutsch erschienen sind.

Für den Band „Totalniy futbol – Eine polnisch-ukrainische Fußballreise“ hat der junge ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan vier polnische und vier ukrainische Autoren gebeten, die Austragungsorte der EM zu porträtieren und den tiefgreifenden politischen Wandel in der Region auf das Leben und den Fußball zu beschreiben. Der ukrainische Schriftsteller Juri Andruchowytsch nimmt sich der Kiewer Trainerlegende Valeri Lobanowskyj an und beschreibt an dessen Karriere, welche Folgen der Zerfall des sowjetischen Imperiums für den ukrainischen Fußball hatte. Seine polnische Kollegin Natasza Goerke hingegen bekennt freimütig, nur rudimentäre Kenntnisse des Fußballspiels zu besitzen. Umso amüsanter ist die von feiner Ironie begleitete Beschreibung ihrer Heimatstadt Posen. Am eindrucksvollsten aber gelingt es dem Danziger Schriftsteller Paweł Huelle Fußball- und Stadtgeschichte zu verweben.

Huelle lässt den alten Danziger Fußballfan Herrn Janek erzählen, wie er als junger Mann seinen Verein Lechia Gdańsk mit zwei Toren gegen Legia Warschau vor dem Abstieg rettete oder wie er als kleiner Junge das Spiel zwischen dem jüdischen Klub Makkabi Drohobycz und dem polnischen Verein Gedania Gdańsk in der von den Nazis schon fast vollständig beherrschten Freien Stadt Danzig sah. Während sich auf dem Fernsehschirm im Pub Hooligans aus Gdańsk und Gdynia prügeln, berichtet Herr Janek von Straßenschlachten mit der Miliz Anfang der 1980er Jahre, als dabei „Keine Freiheit ohne Solidarność“ geschrien wurde.

Im Band „Wodka für den Torwart“ sind gleich elf Fußballgeschichten ukrainischer Autoren versammelt. Skurrile Erzählungen von einem vertauschten Fußballstar, KGB-Offizieren und kickenden Priesteranwärtern, Kindern im Fußballfieber oder einem zum Fußballspielen gezwungenen Computerfreak wechseln sich ab mit erhellenden Essays über den Fußball des Landes. Die Erzählungen lassen sich leicht und locker lesen. Zwischen allen Zeilen aber klingt ganz subtil eine Beschreibung der komplizierten Geschichte und eines nicht immer leichten Lebens in der Ukraine hindurch.

Zum Beispiel in der Geschichte von den Priesteranwärtern, die kurz nach dem Krieg gegen Offiziere des sowjetischen Geheimdienstes Fußball spielen, gewinnen und wenig später von eben jenen ermordet werden. An der Stelle, wo sich einst das Priesterseminar befand, geschehen 30 Jahre später merkwürdige Dinge. Fußbälle und Schuhe der dort spielenden Kinder verschwinden. An ihrer Stelle tauchen alte Fußballutensilien aus der Vorkriegszeit und ein seltsamer alter Mann auf. Der Geheimdienst unterdessen tut alles, um die Ereignisse unter den Tisch zu kehren. Aus diesem Stoff spinnt der Lemberger Schriftsteller Jurij Wynnytschuk eine wundersame Fußballgeschichte über Erinnerungspolitik, sowjetische Geheimdienstmethoden und die Zeit als Lemberg zu einer sowjetischen Stadt wurde.

Abseits vom Getöse der Politik und des Uefa-Marketings kurz vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine gelingt den Autoren beider Bände ein liebevoller aber nie einfältiger Blick auf ihre hierzulande noch allzu unbekannte Heimat. Der Fußball ist ihr Vehikel, um von der Wirklichkeit und der Vergangenheit, von Hoffnungen und Umbrüchen im östlichen Europa zu erzählen. Wer ein offenes Ohr für die Region hat und der Faszination des Fußballs nicht gänzlich abgeneigt ist, wird in beiden Büchern eine kurzweilige Begleitlektüre zum sommerlichen Fußballspektakel finden.


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