„Klares Signal aus Europa“ / Diskussion um Eishockey-WM 2014 in Minsk
Olga Karatch ist auf dem Weg nach Brüssel. „Ich hoffe, dass auch unsere Stimme in Europa gehört wird“, sagt die couragierte 32-jährige belarussische Bürgerrechtlerin. Sie sagt dies mit Blick auf die Schlagzeilen, die die Ukraine mit ihrer prominenten früheren Ministerpräsidentin Julia Timoschenko macht. Karatchs Position ist klar: „Ein Boykott der Fußball-EM ist richtig, wenn Timoschenko nicht aus der Haft entlassen wird. Und genauso sollte die Eishockey-WM 2014 nicht in Minsk stattfinden, wenn bis dahin nicht alle politischen Gefangenen in Belarus auf freiem Fuß sind.“
Unermüdlich reist Olga Karatch derzeit durch Europa, um auf die alarmierende Menschenrechtslage in ihrer Heimat aufmerksam zu machen. Aus Belarus ist die Leiterin der Bürgerrechtsorganisation „Nash dom“ („Unser Haus“) Ende 2011 geflohen – rechtzeitig, bevor der autoritäre Präsident Lukaschenko auf einer weiteren „schwarzen Liste“ zahlreiche Regimegegner mit Ausreiseverboten belegte.
Seitdem eskaliert die Situation in ihrer Heimat zunehmend. Im März wurden trotz internationaler Proteste zwei junge Männer hingerichtet. Sie wurden beschuldigt, ein Attentat in der Minsker Metro verübt zu haben. Das dubiose Verfahren und die Hinrichtung hatten weltweit Entsetzen ausgelöst.
„Belarus befindet sich heute in der alarmierendsten Menschenrechtskrise seit seiner Unabhängigkeit 1991“, heißt es in der Petition „Spiel nicht mit dem Diktator“. Darin fordern Organisationen aus Deutschland, Skandinavien, Tschechien, der Slowakei und der Schweiz klare Bedingungen für die Austragung der WM in Minsk: Die Freilassung und Rehabilitierung aller politischen Gefangenen, die Abschaffung oder Aussetzung der Todesstrafe, die problemlose Zulassung unabhängiger NGOs und demokratischer Parteien. Unterstützt wird die Petition auch von der grünen Bundestagsabgeordneten Marieluise Beck und dem Europaabgeordneten Werner Schulz.
Grüne und SPD wollen morgen (Donnerstag) im Bundestag einen Antrag auf die Verlegung der WM einreichen, die Internationale Eishockey-Föderation (IIHF) berät in der kommenden Woche über das Thema.
„Es ist an der Zeit, dass die Europäische Union Entschiedenheit demonstriert und sich eingesteht, dass Toleranz und Geduld ihre Grenzen haben“, betont Olga Karatch. Zu lange schon habe sich Europa auf Lukaschenkos Instrumentalisierung der politischen Gefangenen eingelassen und immer neue Zugeständnisse gemacht.
Auch Franak Vjachorka, Journalist und Bürgerrechtler und erster Vaclav-Havel-Stipendiat in Prag, wünscht sich einen klaren moralischen Standpunkt der EU. „Von Europa erwarten die Belarussen eine eindeutige Wertepolitik. Derzeit schwankt Europa aber zwischen Real- und Wertepolitik.“ Leider gehe es zu häufig um die Symptome und zu selten um die Ursachen. „Die politischen Gefangenen sind nur die Spitze des Eisbergs. Man muss nicht die Folgen des repressiven Apparats beseitigen, sondern die Ursachen.“
Mindestens genauso wichtig wie politische Sanktionen und Boykotte gegen das Lukaschenko-Regime ist für Olga Karatch, Franak Vjachorka und viele andere belarussische Bürgerrechtler die Unterstützung der Zivilgesellschaft. Konkret durch Visafreiheit, aber auch symbolisch. „Die Belarussen warten sehnsüchtig auf ein Zeichen aus Europa“, sagt Franak Vjachorka. „Man darf nur das Regime isolieren, nicht aber die Bevölkerung. Lukaschenko sagt den Belarussen jeden Tag: ‚In Europas erwartet euch niemand.’ Wir warten darauf, dass ein europäischer Politiker kommt und sagt: ‚Wir erwarten euch’.“