Georgien

Flüchtlinge warten auf Rückkehr

Der Lieblingsplatz von Tamila Khmiadashvili ist die Kirche St. Nino. Sie liegt vor den Toren der 50.000-Einwohner Stadt Gori, rund eine Autostunde von der georgischen Hauptstadt Tiflis entfernt. Wenn sie das Heimweh übermannt, so sagt die Georgierin, dann finde sie hier Trost. Wenn Tamilas Blick von der Kirche Richtung Norden schweift, scheint ihr Dorf Kekhui, in dem sie groß geworden ist, fast zum Greifen nah.

Vor den schneebedeckten Bergen des Hohen Kaukasus, rund 20 Kilometer von Gori entfernt, liegt die Region Südossetien. In Südossetien, einst Teil Georgiens, ist Tamila aufgewachsen; hier hatten sie und ihre Familie ein angenehmes Leben. Sie verdienten gut als Verwaltungsangestellte. Doch alles änderte sich abrupt, als am 8. August vor drei Jahren Bomben explodierten und russische Militärhubschrauber über das Dorf donnerten.

Zuvor war die Auseinandersetzung um das abtrünnige Südossetien, das zu Georgien gehörte, eskaliert: Georgische Soldaten hatten die südossetische Hauptstadt Zchinwali mit Granaten beschossen. Als Reaktion darauf griffen russische Streitkräfte an. „Wir versteckten uns im Keller. Während einer Gefechtspause konnten wir fliehen“, erzählt Tamila. Über Notunterkünfte in Tiflis und Gori landete ihre Familie schließlich in der Flüchtlingssiedlung, wo sie das Schicksal mit früheren georgischen Nachbarn teilt: Sie musste alles zurücklassen. Damals waren sie überzeugt, bald wieder zurückkommen.

Ihre Heimat ist für Tamila Khmiadashvili unerreichbar geworden. Die Grenze zwischen Georgien und der Republik Südossetien, die international kaum anerkannt ist, ist abgeriegelt. Zwischen den Kriegsparteien Georgien und Russland herrscht politische Eiszeit: Der georgische Präsident Michail Saakaschwili beharrt darauf, dass die abtrünnigen Republiken Südossetien und Abchasien weiter Teil des georgischen Staates sind. Dagegen hat Russland deren Unabhängigkeit schon längst anerkannt und baut seine militärische Präsenz stetig aus. Tiflis wiederum versucht im Gegenzug hartnäckig, Russland am Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO zu hindern.

Tamila Khmiadashvili leidet unter den Folgen der politischen Ränkespiele. Die „deutsche Siedlung“ bei Gori ist provisorische Heimat für 300 Familien, die als sogenannte Binnenflüchtlinge in den Augusttagen ihre Dörfer in Südossetien verlassen mussten. Im Haus Nummer 41 lebt Tamila samt Mann und einem Kind. Weil der Platz nicht reicht, wohnt das zweite Kind bei den Schwiegereltern im Haus nebenan. Das Auswärtige Amt ließ die Siedlung mit deutschen Steuergeldern in den Berghang rammen. Rund acht Millionen Euro kostete das Bauprojekt. Die 50 Quadratmeter großen Steinhäuser wären für manchen Georgier eine Luxusbehausung: Drei Zimmer, Küchentrakt und Bad, dazu Möbel, Heizung, Kühlschrank sowie fließend warmes Wasser. Doch trotz des Komforts fühlt sich Tamila Khmiadashvili hier nicht richtig wohl. Die Wände sind kahl, persönliche Sachen gibt es kaum. Die Familie ist in ihrem neuen Zuhause nie richtig angekommen. Klagen will sie nicht: „Wir sind Deutschland sehr dankbar für ihre Hilfe“, sagt Tamila. So habe sie und ihre Familie zumindest ein Dach über dem Kopf.

In der Region gibt es einige Flüchtlingssiedlungen. Rund um Gori sind etwa 10.000 Flüchtlinge untergebracht. Infolge des Grenzkonfliktes mussten insgesamt mehr als rund 26.000 Georgier aus Südossetien flüchten, schätzt Amnesty International. „Viele Flüchtlinge finden keine Jobs, bekommen weder medizinische Hilfe noch gesellschaftliche Unterstützung“, beklagt Amnesty. Die Arbeitslosigkeit in der Siedlung liegt offiziell bei rund 20 Prozent. Doch der tatsächliche Anteil dürfte weitaus höher sein.

Auch für Tamila Khmiadashvili ist die Lage nicht einfach. „Die Siedlung ist eine eigene Stadt in der Stadt, in der Menschen kaum Aussichten auf Jobs haben.“ Tamila versucht dennoch einen beruflichen Neuanfang: Nach zahlreichen von Hilfsorganisationen bezahlten Fortbildungskursen baut sie ihren eigenen Verein auf. „Toleranzy“ soll er heißen und Bildungsprogramme wie Englisch- und Computerkurse vor allem für Jugendliche in der Siedlung anbieten. Eine tschechische NGO will sie dabei unterstützen. Sie braucht dringend Arbeit. Denn das Geld reicht wegen der stark gestiegenen Lebensmittel- und Energiepreise derzeit kaum zum Leben. Der Neustart fällt ihr nicht leicht, manchmal zweifelt sie, ob alles wirklich einen Sinn hat: „Aber irgendwie muss es ja weitergehen“, sagt sie sich dann.

Um die Flüchtlinge bei Laune zu halten, versucht auch der Staat zu helfen. Präsident Saakaschwili lässt Konzerte und Veranstaltungen in der Siedlung organisieren und organisiert für Flüchtlingskinder in den Sommerferien Freizeiten in die Berge oder ans Meer. Auf diplomatischer Ebene fordert er unterdessen unentwegt die menschenwürdige Rückkehr der Vertriebenen und schürt gegenüber den Flüchtlingen die Illusion, Südossetien bald wieder wie in den Staatsverband einzugliedern. Tatsächlich tut sich aber nichts an der georgisch-südossetischen Grenze.

Tamila Khmiadashvili glaubt zwar kaum noch daran, ihre Heimat wiederzusehen, aber ganz will sie die Hoffnung nicht aufgeben. Sie weiß, dass es eine Rückkehr ins Niemandsland wäre. Ihr altes Zuhause gibt es nicht mehr, es ist bis auf die Grundmauern abgebrannt. Tamila Khmiadashvili zieht die Kapuze über ihre schwarzen Haare und betritt das Gotteshaus. Sie bekreuzigt sich und beginnt zu beten.


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