Verhärtete Fronten im Kosovo
Kieshaufen, Baumstämme und ein Bagger blockieren die Straße bei Rudare im Norden des Kosovo. Überall entlang der Straße weht die serbische Fahne. Die Botschaft: Dieses Gebiet gehört den Serben. Die Straße verbindet die Kosovo-Hauptstadt Pristina mit dem Grenzposten in Jarinje, der vor 10 Tagen von radikalen Serben komplett verwüstet wurde. Zerborstene Fensterscheiben und ausgebrannte Büro-Container zeugen von den Krawallen.
Die Unruhen hatten begonnen, als Sondereinheiten der Kosovo-Polizei die Grenzposten Jarinje und Brnjak übernehmen wollten. Hier taten zuvor nur serbische Polizisten Dienst. Seitdem schwelt der Konflikt, bei dem es darum geht, wer im Kosovo das Sagen hat: Serben, die vor allem im Norden leben, oder Kosovo-Albaner.
„Es kann nicht sein, dass sich Gewalt für Pristina auszahlt“, empört sich Oliver Ivanovic an der Barrikade von Rudare. Der Serbe vertritt als Staatssekretär im Belgrader Kosovo-Ministerium die Interessen der etwa 100.000 Serben der Region. „Fuck Eulex“ ist an eine Wand in der geteilten Stadt Mitrovica gesprüht – die europäischen Polizisten und Juristen der EU-Rechtsstaatskommission EULEX kommen im Schmugglerparadies Kosovo nicht gut an. Vor allem der illegale Treibstoffhandel blüht. Eine serbisch-albanische Mafia verdient daran gut. Erhard Bühler, seit einem Jahr Kommandeur der internationalen Schutztruppe KFOR, beklagt gegenüber der Nachrichtenagentur dpa diese Strukturen: Die Mafia steuere im Norden des Kosovo alles und jeden und zettele nach Belieben gewaltsame Konflikte an. Dabei arbeiteten Albaner und Serben prächtig zusammen. Diese „kriminellen Strukturen haben das wirkliche Sagen“, so Bühler gegenüber der dpa.
Die KFOR hält im Norden des Kosovo nun mit Schützenpanzern und Maschinengewehren die Kontrolle aufrecht. Am Grenzübergang Jarinje sind schwerbewaffnete Amerikaner stationiert. Gerade erst ist Verstärkung in Pristina eingetroffen, 700 zusätzliche Soldaten schickt die Nato in die Krisenregion. Doch angesichts der verhärteten Fronten können KFOR und EU nicht wirklich viel ausrichten. Die Kosovo-Albaner wollen weiter den ganzen Norden kontrollieren. Die Serben lehnen das ab: „Das würde bedeuten, den Status des Kosovo anzuerkennen“, sagt der serbische Chefunterhändler Borislav Stefanovic an der Barrikade in Rudare.
Die sture Haltung der Regierungen in Pristina und Belgrad hat ganz konkrete Folgen im Alltag der Menschen, zum Beispiel in Priluzje. Die serbische Enklave im Kosovo liegt 25 Kilometer südlich von Mitrovica. Am Ortseingang steht ein Denkmal für einen UCK-Kämpfer, daneben flattert eine albanische Fahne im Wind: Schwarzer Adler auf rotem Grund. Etwa 3.000 Serben leben hier, eine davon ist Jelica Djordjevic. Die resolute Rothaarige leitet die Gesundheitsstation von Priluzje. Die Regale sind leer, denn der Grenzstreit hat die Versorgungsader aus Serbien gekappt. Die Serben im Norden des Kosovo werden eigentlich von Belgrad aus versorgt, es wird deswegen auch mit Dinar bezahlt, während die Währung im übrigen Kosovo Euro ist. Wann sie ihre Regale wieder füllen kann, weiß sie nicht. Jelica hat nun internationale Organisationen um Hilfe gebeten. Trotzdem lebe sie gerne hier, sagt die Ärztin: „Alle meine Vorfahren stammen von hier, mein Herz ist im Kosovo“.
In der kosovarischen Hauptstadt Pristina dagegen ist der Konflikt nur unterschwellig präsent. Die schicken Straßencafés sind voll. Viele Kosovo-Albaner aus dem Exil sind zu Besuch bei ihren Familien. Auch die Arifis, die seit gut 20 Jahren in Neuss leben. Vater Abderrahman findet es gut, dass Pristina Sonderpolizei an die Grenze schickt. „Das hätten sie schon längst machen sollen“, sagt er. „Die Politiker des Kosovo sollen unsere Probleme selbst lösen und nicht warten, dass andere das für uns tun“. Seine Frau nickt zustimmend.
Unterdessen wirft Serbien dem kosovarischen Präsidenten Thaci vor, mit der Aktion an der Grenze einen erneuten Krieg provozieren zu wollen. Den kosovo-albanischen Straßenverkäufer Zaqi in Pristina empört diese Rhetorik: „Serbien spricht immer gleich vom Schlimmsten, weil es selbst glaubt, mit einem Krieg etwas gewinnen zu können. Aber das bringt doch nichts“. In der Fußgängerzone von Pristina hat der Händler seine Ware ausgebreitet: Batteriebetriebene Plüschtiere drehen sich im Kreis – wie die Politiker. Und mit Plastik-Maschinengewehren können schon die Kinder nachspielen, was im schlimmsten Fall geschieht, wenn Diplomaten in der Sackgasse landen.
Hyla Syla hat das erlebt. Als Neunjährige musste sie während des Kosovokriegs vor serbischen Freischärlern fliehen. Heute lebt sie in St. Gallen in der Schweiz. „Ich fühle mich da wohl“, sagt sie mit Schweizer Akzent, „niemals würde ich wieder zurück kommen“. Sie glaube zwar, dass der Konflikt mit den Serben gelöst wird, „aber das wird Jahre dauern“, sagt sie. Zumindest bis September will die KFOR den Streit einfrieren – und solange selbst die Grenzübergänge kontrollieren.