Ungarn

Kahlschlag in den Medien

Katalin Pataki war fast zwei Jahrzehnte lang beim staatlichen Fernsehen MTV angestellt. So wie etwa 280 anderen Mitarbeitern des Fernsehsenders wurde auch ihr kürzlich ein blauer Brief übergeben. Eine Begründung für den Rausschmiss gab es nicht, ihre Entlassung wurde ihr ebenso wie einem Großteil ihrer Kollegen nicht einmal vom eigenen Chef mitgeteilt, sie bekam nur den Brief in die Hand. „Niemandem wurde die Achtung erwiesen, dass ihm der eigene Chef ins Gesicht sagt: Sie müssen gehen”, so Pataki.

Mehr als 570 Angestellte entlassen

Ein Mitarbeiter des staatlichen Fernsehsenders MTV fand für sein Entsetzen auf „Facebook” nur folgende Worte: „Grauenhaft, grauenhaft, grauenhaft!”. Die Publizistin Orsolya Bálint wiederum ließ ihrem Mitgefühl mit den Geschassten mitten aus der Sommerfrische freien Lauf: „Vergeblich versuche ich mich am Balaton zu erholen, wenn zur selben Zeit sich mehrere Hundert Kollegen darüber den Kopf zerbrechen müssen, wie sie künftig die Stromrechnung bezahlen und ihre Kinder ernähren werden.”

Mehr als 570 Angestellten der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender MTV und Duna TV, des staatlichen Radios sowie der Nachrichtenagentur MTI wurden in den vergangenen Tagen gekündigt. Angesichts des Umfangs der Entlassungswelle ließen sich einige ungarische Medien sogar zu dem Ausdruck „Blutbad” hinreißen. Unter den Geschassten sind viele prominente Gesichter und Stimmen aus beliebten Fernseh- und Radiosendungen. Die Leidtragenden wollen nun mehrere Tage lang gegen ihre Entlassungen vor dem Gebäude des staatlichen Radios demonstrieren.

Massenhaftes Köpferollen

Parallel zu den Massenentlassungen hat die Regierung Anfang Juli, pünktlich nach Ende der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft, das umstrittene Mediengesetzt noch einmal verschärft. Sie will sich damit auch den Einfluss auf private Radio- und Fernsehsender sichern. Diese dürfen sich nun nicht mehr um Sendefrequenzen bewerben, wenn sie bei der mächtigen Medienbehörde NMHH in der Kreide stehen. Bei den Schulden kann es sich um ausstehende Gebühren oder Bußgelder handeln. Außerdem werden Inhalte, welche die Menschenwürde und Menschenrechte verletzen oder dem Verbot der Hetze und dem Schutz von Minderjährigen zuwiderlaufen, streng bestraft.

Auf die Nachricht des massenhaften Köpferollens beim öffentlich-rechtlichen Radio und Fernsehen übten die politische Opposition und die regierungskritischen Medien prompt scharfe Kritik an der rechtskonservativen Regierung von Viktor Orban. Bereits seit ihrem Amtsantritt im Mai 2010 versuche die Regierung die staatlichen Medien zu gängeln, so der einhellige Chor der Kritiker.

„Politisch motivierte Säuberung”

Laszlo Mandur, ein ranghoher Politiker der oppositionellen Sozialisten (MSZP), bezeichnete den Personalabbau bei den staatlichen Medien als „politisch motivierte Säuberung”, die fachlich unbegründet und „menschlich erniedrigend” sei. Laut Mandur wird bei den öffentlich-rechtlichen Medien heute nicht mehr der Dienst an der Öffentlichkeit, sondern jener an der Regierungspartei Fidesz großgeschieben.

Der namhafte Publizist der regierungskritischen linksliberalen Zeitung „Nepszabadsag”, Endre Aczel, schlug in die gleiche Kerbe: „Dieses Vorgehen ist ebenso schändlich wie demütigend und ganz offensichtlich nicht wirtschaftlich, sondern politisch motiviert.“ Und auch das Nachrichtenportal „Index.hu“ sieht die Situation nicht anders: „Bei der Auswahl der Gefeuerten waren politische Faktoren ausschlaggebend.“

Titelblätter blieben leer

Agnes Cserhati, Sprecherin jenes staatlichen Fonds, dem die öffentlich-rechtlichen Medien gehören und die über die Massenentlassungen entschieden hat, konterte umgehend: Die Kündigungen seien rechtlich und in sozialer Hinsicht vertretbar gewesen „Wir können mit Entschiedenheit behaupten, dass die Entscheidungen ausschließlich der Erneuerung der öffentlich-rechtlichen Medien dienen. Diejenigen, die von politischen Säuberungen reden, sind an der Aufrechterhaltung der veralteten, prestigelosen und unüberschaubar wirtschaftenden staatlichen Medien interessiert.“ Damit trifft Cserhat einen wunden Punkt. Denn in allen Lagern herrscht tatsächlich Einverständnis, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Ungarn einer tiefgreifenden Reform bedarf.

Das neue Mediengesetz hatte noch vor seiner Verabschiedung im Dezember des Vorjahres für Empörungsstürme im In- und Ausland gesorgt. Die Kritiker sehen darin nicht zuletzt die Einschränkung der Pressefreiheit in Ungarn. Aus Protest gegen das Gesetz erschienen damals mehrere regierungskritische Tages- und Wochenzeitungen mit leeren Titelblättern.


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