Der ewige Albtraum der Autofahrer
Polen ist für Autofahrer ein Albtraum. Das Land hat gerade die Einführung eines elektronischen Mautsystems verpatzt und damit sein schlechtes Image bestätigt, das es bei Kraftfahrern und Logistikunternehmen hat. Denn Polen betreibt eines der katastrophalsten Autobahnnetze in ganz Europa. Und das, obwohl es eines der wichtigsten EU-Transitländer in die osteuropäischen Märkte ist.
Das neue E-Mautsystem sollte eigentlich die Vignette ablösen, die die Fahrer bis dato immer hinter ihre Windschutzscheibe geklebt haben. Es sollte auf einem Großteil der Autobahnen und Schnellstraßen gelten und in den kommenden sieben Jahren gut 14 Milliarden Zloty (3,6 Milliarden Euro) in die leeren Staatskassen spülen. Ein fehlender Kontakt zwischen Betriebssoftware und den Einfahrtstoren der gebührenpflichtigen Strecken sorgte jedoch dafür, dass es erst einmal nicht dazu kam.
Es kam zu kilometerlangen Staus und Warteschlangen an den Toren. Schließlich fuhren die Kraftfahrer ohne zu bezahlen auf die gebührenpflichtigen Trassen und lösten Chaos aus. Der österreichische Maut-Betreiber Kapsch behob den Schaden erst zwei Tage später. „Wir verlangen einen Ausgleich für den Einnahmen-Verlust und fordern Vertragsstrafe“, erzürnte sich sofort die Sprecherin der Autobahn- und Straßenbehörde GDDKiA, Urszula Nelken. Das wären insgesamt sechs Millionen Złoty (1,5 Millionen Euro).
Letztlich ist dieses Chaos aber symptomatisch für die Infrastruktur insgesamt. Polen scheint nicht in der Lage, seine Infrastruktur zu modernisieren. Seit nunmehr 20 Jahren befindet sich das Autobahn- und Schnellstraßennetz, das derzeit gerade einmal 854 Kilometer umfasst, in einem schlechten Zustand. Zum Vergleich: Der flächenmäßig nur wenig größere Nachbar Deutschland betreibt fast 12.000 Kilometer.
Ein weiteres Ärgernis besteht darin, dass die Strecken nicht durchgängig verlaufen. Daher beaufsichtigen neben der staatlichen GDDKiA auch private Betreiber-Gesellschaften die Strecken. Diese stiften mit ihrem gesonderten Mautsystem zusätzlich Verwirrung.
Eigentlich sollten die Vorbereitungen auf die Fußball-EM 2012 endlich für einen Modernisierungsschub sorgen. Doch befindet sich Polen damit bereits im Verzug und musste schon wichtige Projekte absagen, die nicht rechtzeitig zum Anpfiff fertig werden. Besonders viel Aufsehen erregte die Kündigung eines Bauauftrages durch die chinesische Firma COVEC im Juni. Sie hatte mit einem Dumpingpreis den Zuschlag erhalten, musste dann aber doch von dem Projekt Abstand nehmen, weil sich das Unternehmen verkalkuliert hatte und die Subfirmen nicht entlohnen konnte.
Zusätzlich bereitet ein tiefschwarzer Bericht der Nationalen Kontrollkammer (NIK) vom Juni den Organisatoren große Sorgen. Ihren Aussagen zufolge werden sieben Autobahntrassen in einer Gesamtlänge von 319 Kilometer nicht rechtzeitig fertig, die die Regierung als „Schlüsselprojekte” bezeichnet hat. Ohne sie könnte die EM eigentlich gar nicht stattfinden. Darüber hinaus dürfte es nicht gelingen, termingerecht 85 Kilometer Schnellstraße zu bauen, die als „wichtig“ gelten.
Ein Grund für das Autobahnchaos liegt in den bürokratischen Bauausschreibungen. Die Firmen, die daraus als Verlierer hervorgehen, können Einspruch erheben. Eigentlich sollte mit diesen die grassierende Korruption eingedämmt werden. Was auch gelang – allerdings mit dem ungewollten Nebeneffekt, dass die Unternehmen nun ständig die Bauausführung torpedieren. Und somit die gesamte Ausschreibung lahmlegen, die sich damit über Jahre hinschleppt.
Die anderen Probleme haben einen historischen Hintergrund. „Bis 1997, als Polen noch nicht zur EU gehört hat, war schlichtweg kein Geld da“, erklärte Adrian Furgalski, Infrastruktur-Experte von der privaten Beratungsgesellschaft TOR aus Warschau. Sozialausgaben seien zu diesem Zeitpunkt wichtiger gewesen. Nach dem EU-Beitritt 2004 wurden von Brüssel die notwendigen Mittel bereitgestellt. „Doch hat die euroskeptische Regierung von der Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS) bis zu ihrer Ablösung im Herbst 2007 die Anpassung der staatlichen Bauausschreibungsvorschriften an die EU-Normen verschleppt“, kritisiert Furgalski. Deswegen habe Polen diese Gelder schließlich doch nicht vollständig nutzen können. Später habe die Finanzkrise dazu geführt, dass die Gemeinschaft wieder weniger Mittel überwiesen hat. Das habe die Projekte erneut abgebremst.
Jetzt ist der Bau zwar wieder in Gang gekommen, doch die Grundprobleme sind geblieben. Deswegen sieht es nicht danach aus, dass sich hier so schnell etwas ändern wird. Polen dürfte noch lange ein Albtraum für Autofahrer bleiben.